Auf „Visite" im Krankenhaus – Teil 6: Wie geht eigentlich Sterben? Die Intensivstation

Vor drei Jahren hat der damalige Medizinstudent Felix Otto ein Buch über den Klinikbetrieb geschrieben. In Coronazeiten wird die Bettenbelegung auf den Intensivstationen heiß diskutiert. Doch wie lief es früher ab und wird Corona etwas am Ablauf ändern?

Felix Otto

Früher Profisportler, heute Arzt: Felix Otto

Ich: »Scheiße, der Blutdruck der Frau in Bett vier ist kurz vor dem Ende. Schnell, wir müssen was machen, oder?!« – Schwester, ein Bonbon lutschend und ganz cool, ohne mich anzuschauen: »Och lass mal. Die darf sterben.«

Auf der Intensivstation arbeitet das Pflegepersonal, das extrem lauffaul ist und mit niemand anderem im Haus etwas zu tun haben möchte. Zudem scheinen es im privaten Leben Menschen zu sein, die einen Hang zur Selbstzerstörung innehaben. Wenn ich Begegnungen zwischen Stationspersonal und Intensivpersonal beobachte, dann gibt es nur sehr selten mal und wenn überhaupt ein kaltes Hallo. Ich verstehe nicht ganz warum, aber die Pflegekräfte der Intensivstation glauben bei uns wirklich, dass sie eine Sonderrolle einnehmen und in der Leistungspyramide über dem gewöhnlichen Pflegepersonal stehen. Vielleicht aufgrund der Fachweiterbildung, die auf die Ausbildungszeit oben drauf kommt. Es gibt einige Schwestern, die mit mir nicht ein Wort gewechselt haben bisher, obwohl wir schon einige Dienste miteinander gearbeitet haben. Auf Station ist es schwierig bis gar nicht möglich, ohne Kommunikation untereinander den Dienst zu bewältigen. Es sei denn, man möchte provozieren, die Gemüter der Mitarbeiter zu überladen.

15 bis 30 Patienten pro Pflegekraft

Auf der Intensivstation gibt es eine klare Regel, wie viele Patienten pro Pflegekraft betreut werden dürfen beziehungsweise sollen. Pro Pflegekraft sind das bei uns drei Patienten. Insgesamt verfügt die Station über einundzwanzig Betten. Zehn Doppelzimmer und ein Einzelzimmer, das eher als Reserve für Notoperationen oder bestimmte Behandlungen leer gehalten wird. Wenn ein Personalengpass aus Urlaubs- oder Krankheitsgründen besteht, dann wird die Bettenzahl auf das vertretbare Maß reduziert. Denn eins ist in der Regel gegeben. Die Patienten auf der Intensivstation benötigen eine aufwendigere Betreuung als auf Station. Dort ist es, wie ich in vorigen Kapiteln erklärt habe, genau andersherum geregelt. Auf den neuen Stationen betreut dann eine Pflegekraft je nach Besetzung fünfzehn bis über dreißig Patienten. Das ist in keiner Weise vertretbar.

Womit man als Erstes auf Intensiv klarkommen muss, ist das ständige Gepiepe der Monitore. Jeder Intensivpatient wird in seinen Vitalparametern vierundzwanzig Stunden überwacht. Das wären standardmäßig der Blutdruck, die Sauerstoffsättigung, eine EKG-Ableitung und die Herzfrequenz. Bei einigen Patienten muss auch die Temperatur über eine anal eingeführte Sonde überwacht werden. Die Platzierung ist auch in der Speiseröhre, am Ohr oder unter der Haut möglich. Aber im Hintern lässt sie sich einfacher und schneller einbringen. Je nach Patientenkategorie werden noch ganz andere Parameter mittels Sonden dauerüber wacht. Der Hirndruck kann beispielsweise mithilfe einer im Hirnventrikelsystem durch ein Bohrloch platzierten Sonde überwacht werden. Über ein Ventil könnte man im Notfall Hirnwasser ablassen, um dem Hirn Druck zu nehmen. Oder umgekehrt. Auch der arterielle und venöse Blutfluss kann überwacht werden. Es gibt einiges an zusätzlichen Maßnahmen, die nötig sind, um bestimmte Krankheitsverläufe bestmöglich überwachen zu können. Da sind also eine Menge Parameter, die einen Alarm auslösen können, der in Form eines an der Grenze zum Ertragbaren Piepens ertönt. Meist handelt es sich um abgerutschte Elektroden, falsche Messwerte oder minimale Abweichungen, die nicht von Relevanz sind. Nervig sind sie trotzdem, da sie ständig auftreten und man es irgendwann leid ist, auf den Stummknopf zu drücken, der das Piepen für eine Minute anhält, um erneut loszubimmeln. Das Problem ist, dass viele Patienten an der Grenze zum Normwert gemessen werden, weshalb sie letztendlich auch auf Intensiv gelandet sind. Aber dadurch schlägt der Alarm dauerhaft aus.

Das ist für mich schon irgendwie irre nervig. Zumal die Monitore zur Überwachung jedes Patienten in der Mitte der Station am Kontrollschreibtisch platziert sind und auch im Aufenthaltsraum oder Pflegearbeitsraum an der Wand hängen. Man hat überall einen Überblick über die Messwerte der Patienten. Mich persönlich nervt es eben. Ich müsste viel regelmäßiger auf der ITS arbeiten, um mich vielleicht dran gewöhnen zu können. Wenn ich auf der Intensivstation einen Patienten habe, der aus gutem Grund einen Alarm auslöst, weil es bei ihm um Leben und Tod geht, dann schaue ich sowieso ständig auf die Monitore. Denn meist lässt sich eine Tendenz schon vorher ablesen, sodass ich früher intervenieren kann. Also einem Alarm eh zuvorkomme.

Überwachung auf der Intensivstation

Die Anästhesiologie ist die Grundlage dafür, dass viele medizinische Eingriffe überhaupt möglich sind. Wie die Facharzt-Weiterbildung in der Anästhesiologie abläuft und wie lange sie dauert, erfährst du im Beitrag.

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Es gibt bestimmte Richtwerte im Blutbild von Patienten oder Operationen, die es notwendig machen, dass ein Patient intensivpflichtig wird. Meist handelt es sich um Vorsichtsmaßnahmen, und die Patienten sind bei vollem Bewusstsein. Natürlich haben wir auch Patienten, vor allem ältere, die auf der Intensivstation versterben. Beispielsweise, wenn der chirurgische Oberarzt einem Patienten eine neue Hüfte aufschwatzt. Im Anschluss entwickelt er einen Thrombus, der ein wichtiges Gefäß verschließt und dem Patienten den Rest gibt. Solche Patienten befinden sich hart an der Grenze zum Vertretbaren. Auf der Intensivstation machen sie dann ihre letzten Atemzüge oder werden zu früh im reduzierten Zustand auf Station gebracht, wo sie dann reanimationspflichtig werden. Ich muss traurigerweise sagen, dass ich mittlerweile froh bin, wenn ein Patient eine Patientenverfügung hat, in der steht, dass bei einem Herzstillstand keine weiteren Maßnahmen getroffen werden sollen. Denn die Reanimationen, die ich bisher miterlebt habe und bei denen ich selbst mit Hand angelegt habe, waren unter aller Kanone. Am Ende wird meist nur noch der Tod festgestellt. Was den Tod angeht, habe ich auf Intensiv in einem Nachtdienst einen Tag vor Weihnachten eine Entscheidung getroffen, die einiges in mir geändert hat.

"Diese Nacht werde ich nicht vergessen..."

Diese Nacht werde ich nicht vergessen, denn es starben insgesamt drei Leute in diesem Dienst, und zwei weitere mussten reanimiert werden. In dieser Nacht waren viele Angehörige zu Besuch bei ihren Verwandten. Viele waren nicht bei Bewusstsein, und die Angehörigen saßen Stunden schweigend vor den Betten. Bei einer Frau traf ich die Entscheidung, mir anzuschauen, wie Sterben eigentlich geht. Ich wollte sehen, wie das Leben aus dem Körper entweicht. Ich wollte begreifen, wie der Organismus dagegen kämpft, nicht sterben zu müssen. Ich wollte ihr in den letzten Stunden des Lebens in irgendeiner Art beistehen. Ich bekam den Auftrag circa zwei Stunden vor ihrem Tod, mir meine Waschutensilien zu schnappen und sie für einen angekündigten Besuch von Angehörigen ordentlich herzurichten. Kurz bevor alle Söhne der Frau und Enkelkinder sowie Schwiegertöchter zu ihr gelassen wurden, sprach der älteste Sohn einige Minuten mit dem diensthabenden Arzt.

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