Auf „Visite" im Krankenhaus – Teil 2: Die Innere

Gerade auf den alten Stationen in unserem Haus, zu denen auch die Innere gehört, stehen sehr oft mobile Klostühle im Zimmer. Eigentlich handelt es sich um einen schlichten Stuhl mit billigen Einkaufswagenrollen darunter und einer Bremse sowie einem Loch unter einem Klappbrett der Sitzfläche. Unter das Loch wird einfach nur ein 5-Liter-Eimer gehängt, der alles auffängt, was ins Klo gehört. Da sich die Toiletten der alten Stationen auf den Fluren befinden, ist es einfacher, den noch leicht mobilen alten Patienten und denen, die noch sitzen können, einen solchen Klostuhl ans Bett zu stellen. Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich zum Abräumen des Frühstücks in ein Zimmer auf der Inneren ging und Patienten während des Essens und Zeitunglesens gleichzeitig in die Schüssel geschissen hatten. Wie ich weiter oben schon mal andeutete. Es stank bestialisch, und mir war unbegreiflich, wie man dabei sein Frühstücksei, den Kaffee oder sein Marmeladenbrötchen verzehren konnte. Viele Patienten sagen dann, dass die Stühle ja so praktisch sind und ob man sich die von der Kasse verschreiben lassen kann. Ich schlage mir dann innerlich die Hand vor die Stirn und schüttle nur wieder den Kopf. Manchmal rutscht mir die Frage heraus, ob es den Patienten nicht peinlich sei, ihren Nachbarn beim Essen eins vorzuscheißen. Aber sie freuen sich des Lebens und verneinen. Sie haben ihr Schamgefühl bereits abgelegt. Manche Nachbarn klingeln natürlich und beschweren sich über ihren scheißenden Mitbewohner. Wenn ich dann kann, rolle ich die Patienten mit dem Klostuhl auf die Flurtoilette und gebe ihnen einen Drücker in die Hand. Den sollen sie drücken, wenn ich sie abholen kann. Ich könnte auch genauso gut mit einer Wand reden, wenn ich den Patienten mit den Klostühlen sage, dass sie den Stuhl bei extremen Notfällen direkt benutzen können, aber bitte aus Rücksicht auf die Mitmenschen klingeln sollen. Ich würde sie dann ja direkt auf die Flurtoilette schieben, aber dazu kommt es selten, weil die Schüssel schon voll ist.

Fünf Liter wabernde Urin-Stuhl-Masse sind wirklich ein toller Anblick

Viele Patienten, die einen der Toilettenstühle vom Personal bekommen, sagen auch nicht Bescheid, wenn sie bereits in die Schüssel gemacht haben. Ergebnis ist dann ein Klingeln des Stuhlbesitzers, der mir mitteilt, dass der Eimer voll ist. Fünf Liter wabernde Urin-Stuhl-Masse sind wirklich ein toller Anblick. Was fällt einem dazu noch ein? Ob Sie es glauben oder nicht. Einmal habe ich einen Patienten vom Stuhl geholt, dessen Hodensack tatsächlich bereits in der Suppe hing, und er hat es selbst nicht gemerkt. Er wollte sich die Hose hochziehen, woran ich ihn noch gerade ebenso hindern konnte. Der Patient lachte nur, und das nicht mal verlegen. Er fand das wirklich lustig, dass sein Sack in seiner Scheiße baumelte. Manche Patienten auf der Inneren liegen bereits wieder im Bett, haben Kopfhörer an und schauen fern. Sie klingeln, und wenn ich ins Zimmer komme, zeigen sie nur mit schmatzendem Mund voll Schokolade oder irgendwelchen anderen Knabbereien auf den Eimer. Ich frage mich dann, wie diese Menschen es zu Hause handhaben. Wie kann man so niederträchtig sein, in einen Eimer zu scheißen und jemanden mit erniedrigenden Gesten darauf hinzuweisen, für Sauberkeit zu sorgen. Nicht selten, ich stehe bereits im Türrahmen, werde ich noch gebeten, doch bitte das Fenster aufzumachen. Es würde stinken. 

FELIX OTTO, geboren 1983 in Düsseldorf, gewann als Ruderer mit der deutschen Rudernationalmannschaft den Weltmeistertitel. Jetzt studiert er Humanmedizin und will mit seinem Erfahrungsbericht: "Wie geht eigentlich Krankenhaus?" etwas zur Verbesserung der Krankenversorgung beitragen. Mehrere Jahre lang war er als Aushilfskraft auf "Visite". Dabei hat er den Klinikbetrieb intensiv kennengelernt. Der obige Text ist aus einem Kapitel des Buches entnommen. 

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