Sie sehen also: Die Colitis ist eine ebenso fiese Erkrankung wie der Morbus Crohn. Das einzig Gute ist, dass man sie im Gegensatz zum Crohn vollständig heilen kann, wenn sie erst einmal diagnostiziert wurde. Letzteres funktioniert ganz ähnlich wie beim Crohn mit einer Darmspiegelung. Weil die Colitis ulcerosa lediglich den Dickdarm betrifft, bedarf es auch keiner weiteren Untersuchungen wie beim Crohn. Der Darm wird durch den Gastroenterologen inspiziert, und Biopsien werden genommen, die dann dem Pathologen zur Begutachtung vorgelegt werden. Das ist alles.
Und dann müssen sich Arzt und Patient Gedanken über die Therapie der Erkrankung machen. Denn auf der einen Seite ist die Colitis ulcerosa in dem Moment geheilt, in dem der Chirurg den gesamten Dickdarm mitsamt der Analschleimhaut herausschneidet. Auch das Risiko, Darmkrebs zu bekommen, ist dann gebannt. Auf der anderen Seite lebt es sich ohne Dickdarm nicht sonderlich gut. Die Patienten bekommen einen künstlichen Enddarm aus zwei Dünndarmschlingen »gebaut«, damit sie nicht inkontinent werden. Und trotzdem haben sie täglich viel öfter Stuhlgang als gesunde Menschen. Der Stuhlgang aus dem Dünndarm ist flüssig und sehr ätzend, weshalb Betroffene übermäßig viel trinken und sich intensiv mit ihrer Analhygiene beschäftigen müssen. Und das lebenslang.
Deshalb versucht man verständlicherweise, die OP so lange wie möglich hinauszuzögern und mit Medikamenten ähnlich wie beim Crohn sowie regelmäßigen Darmspiegelungen auszukommen, um sich ein Bild vom Zustand des Organs machen zu können. Trotzdem müssen die Patienten immer mit der großen Gefahr leben, an Darmkrebs zu erkranken, die wie ein Damoklesschwert über ihnen schwebt. Um hier halbwegs sicher zu sein, wird der Darm kontinuierlich inspiziert. Aber niemand kann versprechen, dass der Krebs nicht genau einen Tag nach der letzten Darmspiegelung, bei der noch alles in Ordnung war, entsteht und beim nächsten Mal schon unheilbar fortgeschritten ist. Zwischen diesen Abwägungen bewegen sich Arzt und Patient bei der Colitis ulcerosa. Furchtbar, oder?
Ich erinnere mich gut an eine Patientin, die die Unsicherheit nicht mehr aushalten konnte und entschied, sich unters Messer zu legen. Es handelte sich um eine junge Mutter, die die Geburt ihres Kindes noch abwarten wollte, um die Erkrankung danach endgültig loszuwerden. Die Konsequenzen in Bezug auf die damit einhergehende Einschränkung der Lebensqualität war sie bereit, auf sich zu nehmen. Hauptsache, die immerwährende Gefahr, Krebs zu bekommen, war gebannt. Während der OP mussten wir feststellen, dass es bereits zu spät war. Es hatte sich ein Tumor gebildet, der die Darmwand durchbrochen und sich in den Bauchraum ausgebreitet hatte. Der jungen Mutter blieben nur Monate.
Gerade diese tragische Geschichte hat mir damals gezeigt, wie wichtig die regelmäßige Kontrolle und die effektive medikamentöse – und wenn nötig auch chirurgische - Therapie bei dieser Krankheit sind.
Vita
Geboren 1984, arbeitet Falk Stirkat seit 2010 als Arzt. Seiner anfänglichen Tätigkeit in einer großen chirurgischen Klinik ging das Studium der Humanmedizin an der Karls-Universität in Prag voraus. Es folgten Ausbildungszeiten in Notaufnahme und Intensivstation. Heute arbeitet der Autor als Leiter einer großen Notarztwache. Von seinen Erfahrungen als Notarzt erzählt er in seinen Büchern ich kam, sah und intubierte und 111 Gründe, Arzt zu sein. Im März 2017 ist sein neues Buch "Was uns krank macht" im Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag erschienen.