Psychosomatische Medizin und Psychotherapie: Spezialisten für Körper und Seele

"Den Patienten nicht nur als Symptom sehen"

„Ich mag den ganzheitlichen Ansatz: den Patienten nicht nur als Symptom zu sehen, sondern zu versuchen, den Menschen mit seiner Geschichte und inmitten seiner Umstände zu verstehen“, erzählt Juliane Pieper. Diese umfassende Betrachtungsweise, dieses Hinausgehen über rein medizinische Fragen bis hin zu philosophischen Gesichtspunkten habe sie schon im Studium interessiert. Deshalb habe sie nicht nur Medizin studiert, damals in Rostock, sondern parallel auch bildende Kunst und anschließend noch eine kunsttherapeutische Weiterbildung absolviert. „Mir ist eine Integration dieser beiden Interessen sehr gut gelungen“, sagt die Ärztin.

Gefragt, ob sie im Medizinstudium ausreichend auf das Fach Psychosomatische Medizin und Psychotherapie vorbereitet worden sei, gibt sie eine klare Antwort: „Nein, im Studium nimmt das Fach keinen angemessenen Platz ein; wir hatten eine Vorlesung über ein Semester und ein Praktikum.“ Sie findet das grundsätzlich sehr schade, weil die Psychosomatik nahezu alle somatischen Fachgebiete betrifft und fast alle Ärzte damit später Kontakt haben. Weil die Studenten zu wenig über das Fach wüssten, entschieden sich eher wenige dafür, obwohl der Bedarf weiter steige.

Anzahl der Fachabteilungen innerhalb 10 Jahren verdoppelt

Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie (DGPM) hat sich bereits in den vergangenen zehn Jahren die Anzahl der Fachabteilungen und der Krankenhausbetten mehr als verdoppelt. Aktuell gibt es 4 747 „Psychosomatiker“, davon arbeiten die meisten im ambulanten Bereich (3 097). Die Zahl der Facharztanerkennungen ist deutlich gestiegen: von 100 im Jahr 2008 auf 160 in 2011. Es entscheiden sich deutlich mehr Frauen als Männer für die Psychosomatische Medizin. Die Anzahl der Weiterbildungsstellen sei im stationären Bereich in den letzten Jahren erheblich ausgebaut worden, erklärt der DGPM-Vorsitzende Prof. Dr. med. Johannes Kruse. „Wir gehen deshalb von noch mehr Abschlüssen in den nächsten Jahren aus.“

Juliane Pieper hat die Entscheidung für das Fach nicht bereut. Während der Weiterbildung würde sie sich allerdings wünschen, dass der obligatorische Theorieteil, die Supervision, die Balintgruppe und die Selbsterfahrung (Kasten), sich besser zeitlich integrieren ließen. Der Psychotherapieanteil der Weiterbildung muss an einem privaten Weiterbildungsinstitut absolviert werden. Das bedeutet zusätzlichen Aufwand abends oder am Wochenende. Auch der finanzielle Aspekt sei dabei nicht zu unterschätzen: Die Ärztin zahlt 300 bis 400 Euro monatlich für ihre Weiterbildung am Institut für Tiefenpsychologie und Gruppenanalyse in Berlin. Doch mit dem Gehalt, das sie am Universitätsklinikum als Assistenzärztin erhält, „ist das machbar“. Die Psychologen, die an den gleichen Instituten ihre Ausbildung zum Psychotherapeuten absolvieren, hätten es da ungleich schwerer, weil sie kein Gehalt im Rücken haben, berichtet sie.

Psychodynamisches Verfahren oder Verhaltenstherapie

Grundsätzlich muss sich der angehende Facharzt im psychotherapeutischen Teil der Weiterbildung entweder für psychodynamische Verfahren oder für Verhaltenstherapie entscheiden. Juliane Pieper hat die tiefenpsychologische Richtung gewählt, „weil man hier auch die unbewussten Vorgänge bei der Entstehung von Verhalten und Erleben berücksichtigt“. Im Gegensatz dazu arbeite die Verhaltenstherapie an aktuellen Problemlösungsstrategien. „Im Klinikalltag trennen wir das nicht so streng, der Patient bekommt das, was er braucht.“

Die vielen Stunden Selbsterfahrung, die in der Weiterbildung vorgeschrieben sind, findet Juliane Pieper immens wichtig. „Je besser man sich selbst kennt, umso besser kann man andere verstehen lernen und versuchen, sich in sie hineinzuversetzen. Fast alle Patienten rufen bei uns Affekte hervor: Ärger, Mitleid oder auch Wut. Man kann durch Selbsterfahrung besser verstehen, was an der Gegenübertragung mein Anteil ist und was der des Patienten.“

Worüber hat sie sich einmal ganz besonders gefreut im Zusammenhang mit einem Patienten? Über den Therapieverlauf bei einer anorektischen Patientin, die mit einem Body-Mass-Index von 8 mit 26 Kilogramm auf der Intensivstation lag. „Es war nicht klar, ob sie überlebt – das ging uns allen sehr nahe“, sagt Juliane Pieper. „Nach vier Monaten Behandlung auf der Station ging es ihr deutlich besser, wir haben sie stabilisiert.“ Nicht ganz so lange wird die junge Frau bleiben müssen, bis die Ursachen für ihre Essstörung erkannt und behandelt werden.

WIE WIRD MAN FACHARZT FÜR PSYCHOSOMATISCHE MEDIZIN UND PSYCHOTHERAPIE?


Das Weiterbildungscurriculum sieht vor, dass Assistenzärzte drei Jahre im Gebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie arbeiten, ein Jahr im Gebiet Innere/Allgemeinmedizin, denn sie sollen auch vertiefte Kenntnisse von körperlichen Erkrankungen haben, und ein Jahr in Psychiatrie und Psychotherapie.

Unter Supervision führen die Assistenten mindestens 1 500 psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlungsstunden durch, die das ganze Krankheitsspektrum des Fachgebiets umfassen. Sie werden als Kurzzeittherapien, Kriseninterventionen, Langzeittherapien, Paartherapien, Familientherapien oder in psychoedukativen Gruppen absolviert.

Da im Studium keine ausreichenden Kenntnisse in der Psychosomatik und Psychotherapie erworben werden können, müssen die Assistenten noch 240 Theoriestunden ableisten, in denen die Grundlagen von entweder psychodynamischer oder verhaltenstherapeutischer Krankheitslehre, Diagnostik, Behandlung und Prävention erlernt werden. Diese Seminare werden von privaten Weiterbildungsinstituten angeboten, in denen ebenfalls Psychologen ihre Ausbildung zum Psychotherapeuten absolvieren.

Die Weiterbildung umfasst zudem Selbsterfahrung: Weil es für den Psychosomatiker ganz wichtig ist, eine Beziehung zu einem Patienten aufzubauen, auch wenn dieser sehr schwierig ist, ist es notwendig, die eigenen Reaktionen kennenzulernen und einen Zugang „zur inneren Welt“ aufzubauen. Vorgeschrieben sind je nach psychotherapeutischer Orientierung 140 bis 290 Stunden Selbsterfahrung.

Quelle: Dieser Artikel ist erschienen in Medizin studieren, 4/2013, Seite 18

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