Die Neurochirurgische Klinik der Universitätsklinik Münster ist eine von insgesamt 16 Kliniken, die erst kürzlich von der Europäischen Fachgesellschaft für Neurochirurgie (EANS) für ihre hohe Qualität bei der ärztlichen Ausbildung ausgezeichnet wurde. Gibt es etwas, worauf Sie und Ihr Team bei der Ärztlichen Ausbildung besonders achten?
Es gibt viele unnötige Tätigkeiten mit denen der Weiterbildungsassistent heutzutage belastet wird, z.B. im administrativen Bereich oder bei der - notwendigen - Dokumentation und der Organisation im Rahmen der Patientenversorgung. Diese Arbeiten haben nicht notwendigerweise mit der Kernkompetenz eines Arztes in der direkten Patientenbetreuung wie Anamneseerhebung, Untersuchung, invasive Abklärungen, Operationen, Beratung zu tun. Wir versuchen zunehmend, unsere Weiterbildungsassistenten von solchen Arbeiten zu entlasten, indem wir qualifiziertes Personal zur unmittelbaren Unterstützung eingestellt haben, z.B. sogenannte Physician Assistants. So bleibt mehr Zeit für die fachmedizinische Weiterbildung.
Wichtig ist uns, dass die Individualität jedes Assistenten und jeder Assistentin im Rahmen der Weiterbildung berücksichtigt wird. Jeder Einzelne lernt unterschiedlich schnell, darauf gehen wir ein.
Ergänzend führen wir zahlreiche klinikinterne und fachübergreifende Konferenzen durch, die zwar in erster Linie der Patientenversorgung dienen, in zweiter Linie aber der Weiterbildung. Darüberhinaus versuchen wir flache Hierarchien und ein transparente Fehlerkultur zu pflegen, damit jeder jederzeit lernt, auch wenn etwas nicht gut läuft, und offen mit Fehlern umgeht.
Wie wird sich Ihrer Einschätzung nach die Neurochirurgie in den kommenden Jahren entwickeln, worin sehen Sie die größten Herausforderungen für Ihr Fachgebiet?
Die Neurochirurgie wird – wie viele andere Fächer auch – lernen müssen, in einer älter werdenden Bevölkerung den Bedürfnissen der älteren Mitmenschen gerecht zu werden. Dies wird zu einer weiteren Zunahme von Operationen bei schweren Wirbelsäulenerkrankungen führen. Auch wird die Anzahl von gutartigen und bösartigen Hirntumoren steigen, die wir dann besonders schonend versorgen müssen. Schon aus diesem Grund wird die Neurochirurgie in der Zukunft wachsen.
Die Endoskopie und die Tiefenhirnstimulation werden ihr Spektrum erweitern, letzteres zum Beispiel zur Behandlung von Depressionen, Manien und Zwangsstörungen. Andererseits werden viele Operationen im Gefäßbereich durch Therapien abgelöst werden, die über die Gefäße erfolgen, also durch die endovaskuläre Therapie.
Wie überall unterliegt auch die Neurochirurgie dem allgemeinen Kostendruck, dem nur durch Effizienz, optimale Organisation und Qualität begegnet werden kann. Hier spielt eine umfassende und gute Weiterbildung eine wichtige Rolle.
Was hat Sie dazu bewogen, Arzt zu werden?
Ich stamme aus einer Ärztefamilie, sodass mein Elternhaus bei meiner Entscheidung, Medizin zu studieren, sicherlich eine Rolle gespielt hat. Auf der anderen Seite war ich schon immer sehr technikinteressiert, sodass die Neurochirurgie, die doch in Teilen sehr techniklastig ist, einen guten Kompromiss darstellte.
Rückblickend bin ich sehr froh, die Medizin und gerade die Neurochirurgie als Fach gewählt zu haben. Als Chirurg kann man häufig schnell, effizient und wirkungsvoll handeln und ich freue mich über viele dankbare Patienten. Auf der anderen Seite läuft nicht immer alles glatt und man kann mit einer Komplikation einem Patienten und seiner Familie sehr viel Leid antun, auch wenn man im besten Wissen und Gewissen dem Patienten helfen wollte, der ja schon erkrankt kam. Wenn man verantwortungsvoll seinen Beruf ausübt, sind solch schweren Komplikationen insgesamt selten. Wenn aber mal eine schwere Komplikation vorkommt, dann kann das viele schlaflose Nächte und Sorgen schaffen. Dies soll nicht von den weitaus größeren Sorgen der Betroffenen und ihrer Angehörigen ablenken. In der Chirurgie gibt es ein Auf und Ab und nicht jeder ist hierfür geeignet. Es überwiegen allerdings die positiven Momente, die ich nicht missen will.
Herr Professor Stummer, vielen Dank für das Interview.
Wissenswertes zu Prof. Stummer:
Prof. Dr. med. Walter Stummer gilt international als höchst ausgewiesener Spezialist der Hirntumorchirurgie und war 2013 einer von drei Experten weltweit, die anlässlich des internationalen Kongress der Neurochirurgen in London ausgewählt wurden, um die modernsten Operationstechniken bei Hirnoperationen zu demonstrieren. In einer Live-Übertragung aus dem OP am UKM führte Stummer eine Tumorentfernung am offenen Schädel bei wachem Zustand des Patienten durch.
Prof. Stummer ist zudem seit dem 24. Mai 2009 durch die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie für die Spezielle Neurochirurgische Onkologie zertfiziert. Stummer ist seit Herbst 2007 in der FOCUS-Ärzteliste geführt als Experte für Hirntumore.
Seit 2009 leitet Prof. Stummer das Hirntumorzentrum Münster (Neuroonkologisches Kompetenzzentrum). Dieses Zentrum wurde von der Deutschen Krebsgesellschaft als erstes seiner Art zertifiziert. Er ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC).
Die Neurochirurgische Klinik der Universitätsklinik Münster ist eine von insgesamt 16 Kliniken, die im Herbst 2015 von der Europäischen Fachgesellschaft für Neurochirurgie (EANS) für ihre hohe Qualität bei der ärztlichen Ausbildung ausgezeichnet wurde.