Wenn ein Behandlungsfehler alles verändert

Fehler passieren jedem – doch bei Ärzten kann ein Behandlungsfehler schnell schlimme Konsequenzen haben. Für ihr Buch „Der Fehler, der mein Leben veränderte“ hat die Autorin Gina Bucher unter anderem mit einer jungen Ärztin gesprochen, die einen folgenschweren Fehler gemacht und dafür die Verantwortung übernommen hat.

Wenn Fehler passieren, redet man am besten darüber. | Africa Studio - stock.adobe.com

Ava Keller (Name geändert) heißt die junge Ärztin, die im ersten Kapitel des Buches zu Wort kommt. Keller arbeitet nach dem Studium als Ärztin im Praktikum auf der Krebs-Station eines norddeutschen Uniklinikums. Schon nach drei Monaten darf sie eigenverantwortlich Chemotherapien verabreichen – und ist dabei mit einer ähnlich unerfahrenen Kollegin allein, obwohl sie ihre Approbation noch nicht hat. Auf der Station gibt es verschiedene Ampullen für die Chemotherapie: Manche Substanzen werden in die Venen gespritzt, andere in das Rückenmark, damit sie ins Gehirnwasser gelangen. Doch Keller verwechselt diese beiden Spritzen – und merkt das auch direkt:

„Zuerst konnte ich überhaupt nicht einschätzen, wie schlimm das ist: Welche Konsequenzen hatte dieser Fehler für die Patientin? Ich suchte sofort meinen Kollegen vom Nachtdienst, der zum Glück noch da war. Er war deutlich erfahrener und alarmierte alle: den Neurologen, den Chef der Klinik, den Oberarzt. Sie verlegten die Patientin sofort auf die neurochirurgische Intensivstation, wo sie ihr das Gehirnwasser spülten. Niemand wusste, ob das klappen würde. Die Frau war ungefähr 73 Jahre alt und nicht sterbenskrank.“

Leben mit Schuld und Scham

Anfangs geht es der Patientin noch gut – doch dann beginnen die Lähmungen, und nach und nach werden sie immer schlimmer. Am Ende ist die Frau bis zum Hals gelähmt – ein Schwerstpflegefall. Und Keller bereut ihren Fehler zutiefst und muss mit der Schuld und der Scham leben. Sie stellt sich auch den juristischen Konsequenzen – sowohl in einem zivilrechtlichen Verfahren als auch in einem Strafprozess. Ihre Schuldgefühle verfolgen sie trotzdem bis heute – auch wenn sie weiter als Ärztin gearbeitet hat:

„Unterdessen, sechzehn Jahre später, weiß ich, dass es für mich richtig war, sofort wieder zur Arbeit zu gehen. Anfangs habe ich keinem davon erzählt. Weil ich mich so geschämt habe. Weil ich dachte, das kann ich keinem erzählen. Nur ein paar Kollegen haben das mitbekommen. Nach und nach haben es Freunde erfahren, auch meiner Familie habe ich es gesagt. Es hat mir keiner Vorwürfe gemacht, überhaupt nicht, zu keinem Zeitpunkt. Ich musste vor allen Dingen selbst damit klarkommen und für mich lernen, einen Fehler gemacht zu haben. Das zu lernen ist schwierig.“

Ein anderer Fall aus dem Buch betrifft die Krankenschwester Annemarie Rüter (Name ebenfalls geändert): Zwei Patienten, die sie in ihrem Berufsleben betreut hat, sind gestorben, nachdem die Schwester Fehler gemacht hat. Ob die Todesfälle tatsächlich mit diesen Fehlern zusammenhängen, bleibt zwar offen, doch die ehemalige Krankenschwester belasten sie sehr. Sie hat jahrzehntelang niemandem von den Vorfällen erzählt, will aber nun eine Selbsthilfegruppe für medizinisches Personal mit ähnlichen Erlebnissen gründen.

Buchautorin Gina Bucher im Interview

Autorin Gina Bucher | © Paola Caputo / Piper Verlag

Frau Bucher, für Ihr Buch haben Sie mit den Menschen, die Sie zu Wort kommen lassen, lange Gespräche geführt. Wie haben Sie z.B. die Ärztin und die Krankenschwester erlebt?

Gina Bucher: Die Ärztin hat sich in ihrer Psychotherapie stark mit dieser Geschichte auseinandergesetzt und auch im Strafverfahren wurde alles juristisch aufgearbeitet. Dennoch habe ich im Gespräch gemerkt, dass sie die Geschichte immer noch sehr, sehr betroffen macht. Sie hatte phasenweise auch Tränen in den Augen und hatte zum Teil große Mühe, darüber zu reden. Sie ist jetzt um die 40 und damit jünger als die Krankenschwester. Das macht bestimmt auch etwas aus. Ich hatte den Eindruck, die Krankenschwester hat ein großes Bedürfnis, diese Geschichten noch zu klären, bevor sie stirbt. Sie ist jetzt seit kurzem im Ruhestand und war auch sehr betroffen – aber bei ihr war es anders, weil diese Geschichten schon viel länger zurückliegen.

Die Ärztin hat sich direkt mit dem Thema und den Folgen beschäftigt, die Krankenschwester hat es ein Leben lang geheim gehalten. Warum reagieren die Menschen so unterschiedlich auf ihre Fehler?

Gina Bucher: Bei diesen beiden Geschichten muss man natürlich bedenken, dass sie in unterschiedlichen Jahrzehnten passiert sind. Bei der Krankenschwester reden wir über die 70er und 80er Jahre – damals wurde noch viel weniger über Fehler gesprochen. Bei der Ärztin ist es um das Jahr 2000 herum passiert. Sie meinte, damals hätte es immer noch gar keine Fehlerkultur gegeben. Heute sei das ein bisschen besser, sagt sie. Aber wie man mit Fehlern umgeht, ist auch ganz klar eine Typfrage. Ich weiß auch nicht, wie ich in so einer Situation reagieren würde. Ich kann mir gut vorstellen, dass mein erster Reflex wäre, erstmal alles zu vertuschen. Das ist wie bei der Fahrerflucht, dass man ganz anders reagiert, als man sich das vielleicht wünschen würde.

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