Weiterbildung Chirurgie: Steile Lernkurve garantiert

Die Chirurgie bietet als großes Fachgebiet die Chance, eine Nische zu finden, die zur eigenen Persönlichkeit passt. Allen Fachrichtungen innerhalb der Chirurgie gemeinsam ist der unmittelbare Charakter der Tätigkeit. Dieser fasziniert Julia Schmidt, die wir einen Tag begleiten.

Julia Schmidt ist Assistenzärztin in der Chirurgie: „Was mir an der Chirurgie gefällt, sind einmal das Handwerk und die Tatsache, dass man schnell Ergebnisse sieht!“ | Natalja Ostankov

An diesem kalten Januartag sitzt Julia Schmidt, Ärztin in der Chirurgie im ersten Weiterbildungsjahr, im Wundversorgungsraum der Notaufnahme. Durch die Fenster des RoMed-Klinikums Bad Aibling sind die Alpen mit ihren schneebedeckten Gipfeln und Hängen zu sehen. Ein malerischer Ausblick, der bestimmt zur Genesung der Patienten beiträgt. „Naja, oder sie wollen gar nicht hier weg“, scherzt sie mit ihrem Patienten.

Heute ist Schmidt in der Notaufnahme eingeteilt; genau heute, wo nicht nur die Gipfel der Alpen, sondern auch die Straßen und Wege mit Schnee und Eis bedeckt sind. „An solchen Tagen ist natürlich viel los hier“, erklärt sie, während sie sich über das Knie eines Patienten beugt, der auf Glatteis ausgerutscht ist. Die Wunden sind nur oberflächlich, aber das Knie schmerzt so sehr, dass die junge Ärztin zum Ausschluss einer Fraktur ein Röntgenbild anordnet. Während der Patient in der Röntgenabteilung ist, nimmt sie den nächsten auf. Er hat nur eine Prellung, die Schwestern machen ihm einen Voltaren-Salbenverband. Schon rauscht Schmidt zum dritten Verletzten. Bei hohem Andrang werden mehrere Patienten parallel behandelt, jede zeitliche Lücke genutzt und in dem Durcheinander darf auch keiner vergessen werden.

Anders ist es auf Station, da ist zwar auch viel zu tun, aber dort kann man eine Sache nach der anderen abarbeiten – außer, man wird in den OP gerufen. „Auf Intensiv war ich noch nicht, die anderen Assistentinnen haben hier vor mir angefangen, die dürfen natürlich zuerst.“

Moment mal – Notaufnahme, Station, OP, Intensiv – das sind alles Aufgaben eines Chirurgen in Weiterbildung?

Nur der Reihe nach: Wer Chirurgin oder Chirurg werden will, muss zunächst einmal den „Common Trunk“ absolvieren. Diese Basisweiterbildung setzt sich aus sechs Monaten auf Intensivstation, sechs Monaten in der Notaufnahme und einem Jahr als Stationsarzt zusammen.

Fängt man als Assistenzarzt in der Chirurgie an, ist aber nicht automatisch ein Plan vorgegeben, wann man was macht – um die Abarbeitung seiner „Kataloge“ muss sich jeder selber kümmern. Und gerade die sechs Monate auf der Intensivstation sind schwer zu erhaschen, denn im Rahmen ihrer Weiterbildung müssen auch Assistenzärzte der Anästhesie, der Inneren und andere eine gewisse Zeit auf der Intensivstation verbringen.

Ein Vorteil kleinerer Kliniken: Hier ist die Wartezeit für die Intensivstation nicht allzu lang, da es nicht so viele Anwärter gibt wie in größeren Häusern. Diese haben viele Stationen, viele Assistenzärzte, aber meist auch nur einen oder wenige Plätze auf der Intensivstation.

Nach dem Common Trunk geht es vier Jahre lang in das Gebiet, auf das man sich spezialisieren will – von Viszeralchirurgie über Kinderchirurgie, Gefäßchirurgie bis zur plastischen Chirurgie (Kasten).

Ein vielseitiges Fach also? „Was mir an der Chirurgie gefällt, sind einmal das Handwerk und die Tatsache, dass man schnell Ergebnisse sieht! In den meisten Fällen hat man seinen Patienten schnell geholfen: Arm gebrochen? Morgen OP, nach zwei Tagen wieder nach Hause. In anderen Gebieten der Medizin stellen sich Erfolge ja eher schleichend ein“, findet Schmidt. Zudem sei das Patientenkollektiv breit gefächert. Verletzungen gebe es in allen Altersklassen und auch beispielsweise die Blinddarmentzündung sei überall vertreten.

Jeden Morgen nach der Frühbesprechung wird Visite gemacht. Hier in Bad Aibling geht der Chefarzt jeden Tag auf der viszeralchirurgischen Station mit. Meist sind noch ein oder zwei Oberärzte dabei und der Stationsarzt, sprich ein Assistenzarzt der Chirurgie. Hier findet der Austausch zwischen Pflege und Ärzten statt, hier ist auch Zeit für die Assistenten, um Unsicherheiten und Fragen zu klären.

„Es gibt bei uns keine dummen Fragen, die Oberärzte erklären viel und bereitwillig“, erzählt Schmidt später im Arztzimmer. Das ist ihr persönlich sehr wichtig, weil es ihre erste Stelle ist und so frisch aus der Uni hat man sehr, sehr viele Fragen.

Durch zwei große Fenster fällt viel Licht in das Arztzimmer. Es stehen drei Arbeitsplätze mit je zwei großen Bildschirmen zur Verfügung und an der Wand hängen Karten und Fotos, die ein wenig Einblick in das Teamleben geben.

Anordnungen, Arztbriefe, Entlassungen, all das sind neben der Visite die Aufgaben eines Stationsarztes. Um die Arztbriefe zu schreiben, muss man sich in die Akte des Patienten einlesen, wobei man vieles über häufige Krankheiten lernen kann. Hierbei werde man immer schneller, sagt Schmidt. Ihr erster Arztbrief habe sehr lange gedauert, aber nach ein paar Briefen ginge das schnell.

Manchmal sei die Stationsarbeit schon sehr bürokratisch, aber dafür könne man in seinem eigenen Rhythmus arbeiten und das ist entspannter als in der Notaufnahme zu arbeiten. Außerdem fänden
sich häufig ein paar junge Ärztinnen und Ärzte im Arztzimmer zusammen und tauschten sich aus, was viel zum positiven Arbeitsklima beitrage.

Apropos Ärztinnen: Eindrücklich ist die Geschlechterverteilung auf dieser chirurgischen Station – fünf männliche Oberärzte, sechs weibliche Ärztinnen und drei männliche Ärzte in Weiterbildung. Benachteiligt fühle sie sich trotz der männlichen Führungsriege nicht, erklärt Schmidt. Die jetzigen Oberärzte gehörten wohl einfach der Generation an, in der Frauen in der Chirurgie noch selten waren. Doch das wird sich ändern, ist sie überzeugt.

Wie man an der Geschlechterverteilung der Ärzte hier sieht, kommen immer mehr Frauen in die Chirurgie nach und bei einer Frauenquote von um die zwei Drittel bei Studierenden wird dieser Trend garantiert weitergehen. Dazu gehört selbstverständlich, dass sich die Rahmenbedingungen zu mehr Familienfreundlichkeit hin ändern müssen.

Im RoMed-Verbund, zu dem das Klinikum Bad Aibling gehört, sind beispielsweise Ferienbetreuungen für Mitarbeiterkinder eingerichtet und in der Chirurgie werden auch Teilzeitstellen angeboten. Unaufhaltsam werden es also auch Frauen in die Etage der Oberärzte schaffen, ist sich die Ärztin in Weiterbildung sicher.

Sitzt Schmidt entspannt im Arztzimmer, kann jederzeit ihr Telefon klingeln und sie zu einer Operation rufen. Dann muss sie die Briefe Briefe sein lassen und in die Schleuse eilen, um sich für den OP-Bereich in Schale zu werfen.

Wie fast überall in Deutschland sind dies hier die grünen Kasacks, grüne Hauben und Mundschutz. Sie darf dann bei Cholezystektomien, Appendektomien, Thyreoidektomien oder verschiedensten Knochenbrüchen assistieren. „Am nächsten Tag sehe ich die Patienten auf Station, meist glückselig über den versorgten Bauch, Bein oder Arm“, strahlt Schmidt. „Das gefällt mir, dieses schnelle Erfolgserlebnis.“

Im OP leitet der Operateur seine Assistenten genau an und es wird ihnen nicht zu viel zugemutet. Ganz anders in der Notaufnahme: Nach ein paar Wochen Einarbeitung wurde Schmidt dort schon zu ihren ersten Schichten in der Notaufnahme eingeteilt. Sie musste alleine Patienten aufnehmen, Wunden nähen, entscheiden, ob das Bein geröntgt, der Patient stationär bleiben oder nach Hause geschickt werden soll.

Wie wird man Chirurg /-in?

Die Chirurgie ist ein großes Fachgebiet, in dem man Weiterbildungen in acht verschiedenen Teilbereichen absolvieren kann. So kann man Fachärztin/Facharzt für Allgemeinchirurgie, für Viszeralchirurgie, für Orthopädie und Unfallchirurgie, für Plastische Chirurgie, Gefäßchirurgie, Herzchirurgie, Thoraxchirurgie oder Kinderchirurgie werden. Die Weiterbildungszeit beträgt etwa sechs Jahre, wobei in den ersten beiden Jahren eine basischirurgische Weiterbildung absolviert werden muss, an die sich eine vierjährige Weiterbildungszeit entsprechend des Curriculums eines der acht verschiedenen Facharztkompetenzen anschließt.

Generell umfasst das Gebiet der Chirurgie die Vorbeugung, die Erkennung, konservative und operative Behandlung sowie die Nachsorge und Rehabilitation von chirurgischen Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen sowie angeborenen und erworbenen Formveränderungen und Fehlbildungen sowie die Wiederherstellungs- und Transplantationschirurgie.

Um beispielsweise Fachärztin/Facharzt für Allgemeinchirurgie zu werden, muss man nach der Basisweiterbildung in Chirurgie noch 18 Monate in der Orthopädie und Unfallchirurgie und 18 Monate in der Viszeralchirurgie absolvieren. Zudem muss man sechs Monate Tätigkeit in der Notfallaufnahme und sechs Monate Tätigkeit in der Intensivmedizin nachweisen können. Die für die jeweiligen Facharztkompetenzen vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte und Weiterbildungszeiten sind Mindestanforderungen. Die Dauer der Weiterbildung kann sich verlängern, wenn Weiterbildungsinhalte – wie bestimmte Operationstechniken – nicht in der Mindestzeit erlernt werden können.

Rechtsverbindlich ist die Weiterbildungsordnung in der jeweils gültigen Fassung der Landesärztekammer, in der man Mitglied ist und bei der man die Facharztprüfung ablegen wird. Die Weiterbildungsordnungen der Landesärztekammern lehnen sich jedoch sehr eng an die (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer an.

War da Überforderung programmiert? „Klar, ich hatte Angst vor den ersten Diensten und fühlte mich oft auch überfordert“, erinnert sie sich mit einem Runzeln auf der Stirn. Auch heute noch kommen Situationen vor, die sie sehr stark fordern. Es ist ja noch kein Meister vom Himmel gefallen und aus Fehlern lernt man und jeder Anfänger muss üben – so viele Sprichwörter gibt es über das Können und Lernen von Anfängern.

In der Medizin allerdings ist die Verantwortung schon bei Anfängern sehr groß – es geht um Menschen und deren Gesundheit. Diese Verantwortung auf sich zu nehmen, erfordert eine dicke Haut. Gefühle wie Angst oder Überforderung sind in den ersten Wochen völlig normal, können jedoch nur durch Erfahrung überwunden werden.

„Das Gute hier ist, dass man jederzeit um Hilfe oder Rat fragen darf, entweder einen erfahreneren Kollegen oder seinen Oberarzt“, betont Julia. Sie fügt hinzu, dass es immer von Vorteil sei, vor einer Bewerbung in einer Klinik dort erstmal „reinzuschnuppern“, um das Team kennenzulernen; zum Beispiel durch eine Hospitation.

Denn wäre das Team hier nicht so angenehm und die Kommunikation nicht so direkt und klar, wären die ersten Wochen viel schwerer gewesen. Doch so habe sie sehr schnell sehr viel gelernt und an Selbstvertrauen gewonnen, so Schmidt.

Dann war es Zeit für die nächste Etappe: der erste Nachtdienst. Hier hat der diensthabende Arzt die Verantwortung für die komplette chirurgische Station, Intensivstation und die Notaufnahme. Allein im Haus und keiner da, den man schnell holen kann. Die einzige Rettung: Das Telefon in der Kitteltasche, mit dem sie in brenzligen Fällen ihren „Hintergrund“ anrufen kann. Das ist der Oberarzt, der in der Nacht Bereitschaft hat – soll heißen, er schläft zu Hause, muss sich aber darauf einstellen, angerufen und zur Not auch hergeholt zu werden. Natürlich sei die Hemmschwelle, seinen Oberarzt aus dem Bett zu klingeln, groß. Wenn es aber sein muss, dürfe man keine Scheu haben, immerhin gehe es um Patienten und keiner könne erwarten, dass man in der Weiterbildung schon alles kann, sagt Schmidt.

„Also, an der Hand geführt wird man hier nicht“, resümiert die junge Ärztin. „Die Einarbeitung erfolgt vor allem durch proaktives Fragen und Handeln. Aber mir gefällt das. Man kann ja oft in der Notaufnahme zugucken und würde dabei niemals so schnell lernen, als wenn man es einmal selbst gemacht hat“, sagt sie und verschwindet wieder zu ihrem Patienten, „dem mit dem Knie“. Er hat sich nichts gebrochen und kann nach Hause.

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