Umgangsformen: Wie viel Manieren braucht der Arzt?

Wer das ABC der Umgangsformen beachtet und sich vom gesunden Menschenverstand leiten lässt, punktet bei Patienten und Kollegen.

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Bei der Vorbereitung auf ein Vorstellungsgespräch ergeben sich Fragen wie: „Was soll ich anziehen? Wie soll ich mich benehmen? Welche Etiketteregeln sind zu beachten?“, aber auch: „Wenn ich jetzt zum ersten Mal eine Krawatte anziehe, bleibe ich dann der, der ich bin? Mache ich mich so nicht unglaubwürdig?“ Ähnliche Gedanken spielen eine Rolle, wenn der Arzt vor einem wichtigen Gespräch mit seinem Ober- oder Chefarzt steht. Und auch im Patientenkontakt spielen Äußerlichkeiten wie Benehmen, Kleidung und Manieren eine Rolle – geht es doch darum, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Kein Königsweg

Im Geschäftsleben kommt es bei Benimmfragen vor allem auf die Hierarchie an. Man begrüßt immer zuerst den „Ranghöheren“, aber ohne Körperkontakt. Für den Arzt gibt es hingegen keinen Königsweg. Das Verhalten ist von seiner Persönlichkeit, den Zielen und der Situation abhängig, in der er einem Menschen begegnet. Es gibt allerdings einige Punkte, die er berücksichtigen sollte. Zu beachten ist dabei, dass immer mehr Menschen wieder Wert auf Etikette, Manieren und gute Umgangsformen legen. Das belegt der Boom, über den sich die Anbieter von Etiketteseminaren freuen.

Manieren umfassen mehr als nur das Wissen, welche Kleidung zu welchem Anlass getragen werden muss. Schon für den Ahnherrn der gesellschaftlichen Umfangsformen, Adolph Freiherr Knigge, war die praktische Lebensklugheit wichtiger als der Dresscode. Sein berühmtes Buch heißt denn auch „Über den Umgang mit Menschen“. Weit entfernt von jeder Nützlichkeitsethik, will Knigge den einzelnen Menschen um seiner selbst willen geachtet und akzeptiert wissen. Für den Freiherrn sind Herzensbildung und mitmenschliche Anteilnahme wahrer Ausdruck eines kultivierten Geistes.

Im Klinikalltag weisen die meisten Begegnungen mit anderen Menschen zuallererst einen beruflichen Aspekt auf. In diesen Situationen hilft die Beachtung der Benimmregeln, das Miteinander zu organisieren und zu vereinfachen. Wer die Umgangsformen beherrscht, gewinnt an Sicherheit. Der Arzt muss nicht befürchten, im Gespräch mit Vorgesetzten und Patienten ins Fettnäpfchen zu treten. Der Vorwurf, sich steif und überkorrekt zu verhalten, ist leichter zu akzeptieren als die Aussage, die Grundregeln guter Kinderstube nicht zu kennen. Hinzu kommt: Äußerlichkeiten sind Symbole. Studien zeigen, dass der erste Eindruck von Personalchefs sehr vom äußeren Erscheinungsbild abhängig ist. Dieses hilft ihm zu beurteilen, ob der Bewerber zum Unternehmen oder eben zur Klinik passt.

Tipps für Ärzte

Welche Regeln sollten Ärzte, die zu der Ansicht gelangt sind, dass Umgangsformen für sie wichtig sind, berücksichtigen? Benimmregeln füllen Bücher und Seminarreihen. Für Ärzte sind folgende interessant:

  • Für den Kontakt mit dem Patienten gilt, diesem immer aufmerksam zu begegnen, sich ihm nicht als Experte von oben herab zu nähern und ihm Feedback zu geben. Traditionell begegnet der Arzt dem Patienten mit Aussagen. Doch indem er seinerseits Fragen stellt, ermöglicht er einen Dialog.

  • Verabredung zum Mittagessen (mit dem Vorgesetzten): Pünktlichkeit ist oberstes Gebot, das gilt für alle Treffen. Der Jüngere begrüßt den Älteren, der Hinzukommende die bereits anwesenden Personen, der Rangniedere den Ranghöheren. Als zeitgemäß wird empfunden, wenn derjenige zuerst grüßt, der den anderen als Erster sieht. Beim Grüßen ist der Blickkontakt wichtig.

  • Im Restaurant hält der Assistenzarzt dem Oberarzt die Tür auf. Das gilt auch für das Verlassen des Restaurants. Beim Essen sollte wie im wichtigen Gespräch das Handy ausgeschaltet sein. Falls der Arzt ein wichtiges Gespräch erwartet, das er unbedingt annehmen will, teilt er dies zu Beginn mit. Dann stellt er den Lautlos-Modus ein. Erfolgt der Anruf, entschuldigt er sich und verlässt den Tisch oder den Raum.

  • Bei der Frage, ob man die Benimmregeln etwas lockern darf, gilt bei offiziellen Anlässen: eher das Jackett länger anbehalten als es zu früh ablegen. Ist es etwa sehr heiß, ist es die Aufgabe des Ranghöheren, für Entspannung zu sorgen. Übrigens: Es ist heute selbstverständlich, dass die Dame die (früheren) Aufgaben des Herrn übernimmt, wenn sie einlädt: Sie geht voraus, sie platziert die Gäste, sie probiert den Wein etc.

  • Das Büro und der Schreibtisch sollten zumindest aufgeräumt sein und einen ordentlichen Eindruck hinterlassen. Vorgesetzte schließen häufig vom Zustand des Schreibtischs auf den Arbeitsstil oder gar die Persönlichkeit des Arztes. Und auch der eine oder andere Patient mag denken: „Wenn auf dem Schreibtisch schon so ein Chaos herrscht, wie sieht es dann erst im OP aus?“

Höflichkeit, Freundlichkeit, Rücksichtnahme, Toleranz: Wer das ABC der Umgangsformen beachtet und sich vom gesunden Menschenverstand leiten lässt, liegt nie falsch. Der Arzt sollte zudem dem Krankenpfleger und dem Pförtner genauso begegnen wie dem Chefarzt.

Quelle: Deutsches Ärzteblatt 2008, Heft 5. 

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