Einen Durchschnittsjob hat sich Florian Ewald gewiss nicht ausgesucht; einen faszinierenden Beruf jedoch auf jeden Fall: Der 28-Jährige möchte Transplantationsmediziner werden. Denn so kann er ganz direkt todkranken Patienten neues Leben geben. Da es momentan jedoch noch keine offizielle Bezeichnung „Transplantationsmedizin“ gibt (die Deutsche Transplantationsgesellschaft arbeitet an einem Curriculum), absolviert der junge Arzt seine Weiterbildung zum Allgemein- und Viszeralchirurgen an der Klinik für Hepatobiliäre Chirurgie und Transplantationsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Das Besondere an dieser Klinik: Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen (Chirurgie, Innere Medizin, Mikrobiologie, Urologie und Pädiatrie) arbeiten interdisziplinär bei der Therapie von Tumorerkrankungen der Leber, der Gallenwege und der Gallenblase sowie bei Transplantationen von Leber, Niere und Bauchspeicheldrüse zusammen.
Interdisziplinarität besonders reizvoll
Interdisziplinarität – für Ewald ist diese an der Transplantationsmedizin besonders reizvoll. Eigentlich wollte er nämlich Internist oder Neurologe werden. Doch während seines Chirurgie-Tertials in Bern gefiel ihm die Chirurgie so gut, dass er sich spontan nach einer freien Stelle in diesem Fach umschaute. Zufällig fand er sie in der Transplantationschirurgie. „Sie passte gut zu mir“, erzählt er. Denn sie verband zwei Dinge, die Ewald wichtig waren: ein spezialisiertes chirurgisches Fach und die Möglichkeit zu forschen. Zudem ist sie ein zukunftsträchtiges Fach.
Auch wenn es offiziell (noch) keine eigene Berufsbezeichnung gibt: Die Transplantationsmedizin hat sich in den letzten Jahren zu einem wesentlichen Bestandteil in der Behandlung von Patienten mit Stoffwechselstörungen, Organversagen und Krebs entwickelt. Beispielsweise werden in Deutschland jährlich mehr als 1000 Lebertransplantationen vorgenommen. Transplantationszentren bieten für Nachwuchsärzte viele Entwicklungsmöglichkeiten, aber auch Extreme: So assistiert Ewald sowohl bei Standardoperationen als auch bei Transplantationen und forscht nach Feierabend im Labor. Die vielen Rufdienste und die tägliche Arbeitszeit von 7.15 bis 17.30 Uhr haben dazu geführt, dass er vorerst sein regelmäßiges Training der brasilianischen Kampfsportart Capoeira aufgegeben hat. Einige der Dienste sind zwar ruhig, andere hingegen gerade für Berufseinsteiger psychisch und physisch richtig anstrengend: zum Beispiel, wenn er mit einem Entnahmeteam spontan in ein Krankenhaus der Region fährt, um Organe zu explantieren oder in das UKE zu einer Transplantation gerufen wird.
Wöchentliche Transplantationskonferenzen sind am UKE Hamburg Routine
.„Transplantationen kommen immer überraschend und meist nachts, die Entnahme von Organen findet dagegen oft nachmittags und abends statt, nachdem alle Spendemodalitäten geklärt sind“, erläutert der Assistenzarzt. Erst gestern sei er gemeinsam mit einem Oberarzt und einem Facharzt seiner Klinik in das Krankenhaus von Heide gerufen wurden. Dort war ein 40-jähriger Patient an einer Hirnblutung plötzlich verstorben, der sich zur Spende seiner Organe bereiterklärt hatte. „Wir haben Herz, Lunge, Leber, beide Nieren und das Pankreas entnommen“, berichtet Ewald. „Besonders beeindruckend war, dass ich auch bei der Explantation von Herz und Lunge assistieren durfte, da nur ein Thoraxchirurg vor Ort war.“ Erst nach Mitternacht waren die Eingriffe beendet: Herz und Lunge wurden nach Jena geflogen, die Leber nach Essen vermittelt.
Wieder zurück im UKE betreut Ewald hauptsächlich terminal kranke Patienten. „Traurigerweise sterben auch nicht wenige von ihnen – das muss man schon irgendwie verkraften können“, meint der junge Arzt. Gleichzeitig hat er jedoch die Möglichkeit, durch seine Arbeit Patienten zu einem neuen Leben zu verhelfen. „Ich bin einfach nur glücklich: Eine neue Niere – ein neues Leben“, begrüßt ihn beispielsweise an diesem Morgen Ursula Carl, als er zur Visite auf die interdisziplinär von Chirurgen, Nephrologen und Gastroenterologen geführte Station 3G kommt. Die Patientin im mittleren Lebensalter hat vor zehn Tagen eine Niere implantiert bekommen, steht bereits auf und sprüht sichtlich vor Freude und Elan.
"Für uns steht fest: Jeder würde für den anderen spenden."
Gespendet hatte ihr die Niere ihr Bruder. „Als ich ihm lediglich schrieb, dass eine Nierentransplantation die einzige Therapieoption bei meiner Niereninsuffizienz ist, kam sofort eine SMS von ihm: ,Wenn du magst, kannst du eine von mir haben‘, hätte da kurz und knapp gestanden“, erzählt Carl. „Ich habe es mir gründlich überlegt. Aber für uns steht fest: Jeder würde für den anderen spenden.“ Während sonst Diabetes mellitus, längerfristiger Hypertonus, Glomerulonephritis, interstitielle Nephritis oder polyzystische Nierendegeneration häufige Ursachen für eine terminale Niereninsuffzienz sind, ist bei Ursula Carl die Ursache gar nicht so richtig bekannt. Auch eine lange Zeit an der Dialyse ging bei ihr nicht voraus: Bis Herbst 2012 stand sie aktiv im Leben; führte als Direktorin ein großes Hotel in Bremen. „Im Oktober fühlte ich mich dann schwach, kam kaum aus dem Bett und ging zum Arzt. Festgestellt wurde ein Blutdruck von 240 mmHg und daraufhin eine Nierenfunktion von nur noch zehn Prozent beidseits. „Meine beiden Nieren waren so klein wie Kindernieren – verursacht vielleicht durch eine familiäre Disposition oder vielleicht durch frühere, unbemerkt verlaufende Infektionen, die ich mir bei längeren Aufenthalten in den Anden Mittelamerikas zugezogen habe“, erklärt sie.
Rotationen führten Ewald die in den OP, auf Station und in die Ambulanz
Im Dezember wurde Ursula Carl dialysepflichtig: dreimal pro Woche ließ sie ihr Blut waschen – abends nach der Arbeit im Hotel. „Dies hat mich vor der Depression bewahrt“, glaubt sie. „Denn ich kann mir jetzt sehr gut vorstellen, dass einen eine jahrelange Dialyse ganz schön mürbe machen kann.“ Das ist auch ein Grund, weshalb bei Dialysepflichtigkeit eine Nierentransplantation immer erwogen wird, sofern keine Erkrankungen vorliegen, die den Patienten während oder nach der Transplantation gefährden könnten, wie nicht behandelte Infektionen, Tumorerkrankungen oder schwere Herz-, Gefäß- oder Lungenerkrankungen. Eine Transplantation führt gegenüber der Dialyse nicht nur zu einem besseren Überleben, sondern auch zu einer höheren Lebensqualität des Patienten.
"Nierentransplantation ist ein Routineeingriff"
„Am UKE ist die Nierentransplantation chirurgisch bereits ein Routineeingriff, der jährlich mehr als 100-mal vorgenommen wird“, berichtet Ewald. Bei etwa einem Drittel der Nierentransplantationen würden wie bei Frau Carl lebend gespendete Organe verwendet. „Dies ist optimal, da dann die Patienten meist nicht so lange an der Dialyse waren und dadurch im Vergleich zu Patienten, die bereits jahrelang an der Dialyse auf ein Organ warten, weniger Folgeschäden entwickelt haben“, erklärt der Arzt. Voraussetzung für eine Lebendspende seien entweder eine nahe Verwandtschaft von Spender und Empfänger oder eine tiefe Verbundenheit, wie das bei Ehepartnern oder langjährigen Freunden der Fall ist. Dies werde auch streng überprüft, um Spenden gegen Geld auszuschließen. „Mein Bruder und ich mussten neben den medizinischen Matching-Tests und Voruntersuchungen auch mehrere Tests bei Transplantationspsychologen absolvieren“, ergänzt Carl.
Routinemäßig untersucht nun Ewald die Patientin: Die Operation in minimal-invasiver retroperitonealer Technik war problemlos verlaufen und hat bei Carl eine zehn Zentimeter lange, reizlose Narbe an der Bauchdecke unter dem Rippenbogen hinterlassen (Pararektalschnitt). Es traten auch sonst weder bei ihr noch bei ihrem Bruder postoperative Komplikationen auf: keine Durchblutungsstörungen in den Beinen, Thromben oder Embolien. Auch Wundheilungsstörungen oder Abstoßungsreaktionen sind bei Frau Carl nicht zu beobachten. Per Ultraschall misst Ewald den Resistance Index der Nieren. Er beträgt 0,72. „Das ist optimal“, erklärt er. Auch die Pole der Niere seien gut durchblutet, wodurch Ursula Carl in ihrem Optimismus bestätigt wird, schon bald wieder in ihr normales Leben vor der Erkrankung zurückkehren zu können.
Ewald ist seit zwei Jahren Weiterbildungsassistent an der Klinik. Er rotierte von der Station in den OP und in die Ambulanz. Dass die Weiterbildung an der Klinik strikt strukturiert ist, findet er gut: „So kann man sich gut auf die einzelnen Anforderungen konzentrieren.“ Während der beiden Jahre seiner Weiterbildung hat Ewald auf diese Weise bereits viel gelernt und gesehen. Den spezifischen Umgang mit den Patienten, für die eine Transplantation infrage kommt, lernte Ewald zunächst durch Hospitationen bei den Gesprächen von erfahrenen Transplantationsmedizinern mit ihnen. „Ich kläre ganz offen und deutlich auf“, sagt Prof. Dr. med. Björn Nashan, Direktor der Klinik und künftiger Präsident der Deutschen Transplantationsgesellschaft. „Gerade bei einer Lebendspende ist es unerlässlich, dass sich alle Beteiligten nicht nur des Segens der Spende, sondern auch der Risiken und der rechtlichen Vorschriften bewusst sind.“
"Gesetz dient auch dem Schutz der Ärzte"
Vieler rechtlicher Vorschriften müssen sich auch die in der Transplantationsmedizin tätigen Ärzte bewusst sein. Angesichts der Skandale in deutschen Transplantationszentren, der gesetzlichen Neuregelungen bezüglich der Organspende und der Transplantation einschließlich neuer Strafvorschriften sind einige Ärztinnen und Ärzte verunsichert. Für Ewald sind diese jedoch kein Grund, als junger Arzt nicht in die Transplantationsmedizin zu gehen. „Es ist doch nichts Neues, dass Betrug strafbewährt ist“, meint er. Dieser Ansicht ist auch sein Chefarzt: „Wer systematisch, in welcher Weise und aus welchen Gründen auch immer, das System manipuliert und sich somit über die Transplantationsrichtlinien der Bundesärztekammer hinwegsetzt, muss sich dafür vor der Gemeinschaft aller verantworten. Die Transplantation ist angesichts knapper Ressourcen und schwer kranker Patienten ein Feld, das Transparenz und Verantwortung untereinander und gegenüber Spendern, Empfängern und der Gesellschaft reflektieren muss. Das neue Gesetz dient auch dem Schutz des Großteils der Ärzte, die ehrlich und transparent arbeiten.“ Dass Fehler ebenfalls in der Transplantationsmedizin vorkommen, will Nashan damit nicht ausschließen. „Deshalb muss das System – wie hier – pluralistisch angelegt werden, die Kontrolle vieler schützt vor Fehlern einzelner“, erklärt er mit Verweis auf die seit 2007 routinemäßig mit zehn bis 15 Teilnehmern interdisziplinär stattfindenden Transplantationskonferenzen am UKE. Sie verlangsamten das System keineswegs, sondern tragen zur Transparenz und besonders zur interdisziplinären Zusammenarbeit bei. Transplantation ist interdisziplinäre Aufgabe mit dem Ziel einer optimalen Patientenversorgung. Generell glaubt Nashan jedoch, dass Transplantationen nicht an jeder Klinik durchgeführt werden sollten. „Wir brauchen strenge Qualitätssicherungsmaßnahmen“, sagt er. Dazu gehörten im Wesentlichen drei Dinge: 1. die Qualifikation zum Transplantationsmediziner nach einem festen Curriculum, 2. attraktive Jobangebote durch die Arbeitgeber und 3. ein Transplantations- und Dialyseregister sowie ein Register über Herzunterstützungssysteme. „Nur so ist ein evidenzbasierter Abgleich der Daten möglich, die momentan noch in verschiedenen Fachgebieten isoliert auflaufen“, ist er überzeugt.
Teamarbeit gefragt
Die Transplantationsmedizin lebt von der Kooperation der Fachgebiete Chirurgie, Innere Medizin, Urologie, Anästhesiologie, Immunologie und Pädiatrie sowie von der Zusammenarbeit mit den Transplantationskoordinatoren an den Krankenhäusern. Organspende und Transplantation stehen in Deutschland auf mehreren Säulen: So ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation verantwortlich für die Organspende. Das Organverteilungssystem von Eurotransplant International Foundation im niederländischen Leiden ist für die Organvermittlung über Ländergrenzen hinweg zuständig, um den jeweils passendsten Empfänger zu erreichen. Die Richtlinien für die Organtransplantation werden von einer bei der Bundesärztekammer angesiedelten Kommission erarbeitet und dem Wissensstand angepasst.