Svendborg-Fall: Praktizieren wie in den USA?

Eine dänische Assistenzärztin der Allgemeinmedizin wurde vor kurzem vom Svendborger Landsgericht verurteilt, weil ihr eine fehlerhafte Versorgung in der Notaufnahme vorgeworfen wird. Das Urteil sorgte für großen Protest unter der Ärzteschaft – jetzt wird der Fall vor dem obersten Gericht verhandelt.

Katja Kilb

Bloggerin und Assistenzärztin Katja Kilb

Je nach Ausgang könnte das Urteil enorme Veränderungen im dänischen Gesundheitssystem nach sich ziehen. Wird die Ärztin auch hier wegen grober Pflichtverletzung verurteilt, wird es eine Gesetzesänderung geben müssen. Dann werden Ärzte in Dänemark künftig genauso defensiv arbeiten wie in den USA. Denn dann wird es in erster Line nicht mehr um den Patienten gehen, sondern darum, den eigenen Rücken frei zu halten. Dann wird jegliche Anordnung dokumentiert werden müssen, was extrem zeitaufwendig werden wird. 

Katja Kilb

Eine junge Assistenzärztin wurde vor kurzem in Dänemark zu 5.000 dänischen Kronen (ca. 700 Euro) und zu der Übernahme der Kosten des Verfahrens verurteilt. Ihr wird vorgeworfen, einen Diabetespatienten mangelhaft versorgt zu haben.

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Hier hat sich besonders einer unserer Oberärzte der Intensivstation in Odense im Namen aller Kollegen stark gemacht und versucht, dem dänischen Amt für Patientensicherheit, der Gesundheitsministerin und der dänischen Bevölkerung die Konsequenzen eines solchen Urteils zu verdeutlichen. Er kam dazu, weil er gegen einen Ausspruch der Klinikleitung in Odense protestierte. Diese hatte jegliche Verantwortung für das persönliche Dokumentations-Versäumnis einzelner Ärzte von sich gewiesen. Unser Oberarzt  Kristian Rørbæk Madsen ist ein sehr kompetenter und empathischer Mensch. Er sprach sich für die Ärztin und all ihre Kollegen und Kolleginnen aus. Er empörte sich darüber, dass die Mitarbeiter der Klinikleitung nun Schlange stünden, um sich die Hände in Unschuld zu waschen. 

Es war der Klinikleitung nämlich durchaus bekannt, welche Zustände zum Zeitpunkt des traurigen Zwischenfalls in Svendborg in der Notaufnahme und besonders in der allgemeinen Chirurgischen Abteilung herrschten. Damals waren zu wenige Ärzte vor Ort, viele waren stressbedingt erkrankt, junge Kollegen wurden nicht oder nur schlecht eingearbeitet und sich selbst überlassen. Die sonst übliche Supervision entfiel häufig. Besonders in der fraglichen Nacht hatten die erfahreneren Ärzte keine Zeit, um mit der Kollegin über die Patienten zu sprechen. 

Kristian Rørbæk Madsen wird zum Sprecher der Ärzte

Schon Wochen vorher hatte sich der Betriebsrat bei der Klinikleitung über die schlechten Arbeitsbedingungen beklagt – doch die Klinikleitung änderte nichts. Sie hatte ganz sicher einen Anteil an dem Ereignis und sollte dafür auch einen Teil der Verantwortung übernehmen.

Nach seinem Protest wurde unser Oberarzt Kristian Rørbæk Madsen von der Klinikleitung zu einem "kameradschaftlichen Gespräch" eingeladen – unter den Kollegen löste das Empörung aus. Es sah so aus, als ob Madsen ein Maulkorb verpasst werden sollte. Die Empörung seiner Kollegen machte ihn noch mehr zum Sprecher für die Sache. 

Im Anschluss lud Madsen die Leiterin des Amtes für Patientensicherheit ein, um an einem Nachtdienst teilzunehmen und so die wirklichen Arbeitsbedingungen der Ärzte im notfallmedizinischen Sektor zu sehen. Hier hat man während eines Dienstes einfach keine Zeit, Kleinigkeiten zu dokumentieren. Falls nach dem Urteil des Obersten Gerichts eine größere Dokumentation zum Standard wird, würde mehr Personal benötigt und die Ärzte müssten zu einer defensiveren Medizin übergehen. Es bleibt also weiter spannend, wie das Urteil ausfällt.  

Katja Kilb arbeitet als Assistenzärztin in der Anästhesiologie an der Universitätsklinik in Svendborg/Dänemark. Hier bloggt sie über den Arbeitsalltag in Dänemark und vertritt ihre persönlichen Ansichten.

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