Hallo liebe Leser,
ich liebe Arztserien. Ihr auch?
Egal wie kitschig oder realitätsfern sie auch sein mögen, führen mir die vielen Staffeln voller Drama und Medizinerverherrlichung, die manchmal wie ein Werbefilm für unseren Berufsstand wirken, doch immer wieder vor Augen, wieso ich Arzt bin. Klar, mit dem tatsächlichen Arbeitsalltag haben einige der zum Teil völlig irrationalen und fachlich falschen Episoden oft nichts zu tun. Und manchmal, besonders bei der einen oder anderen deutschen Produktion, aber auch bei amerikanischen Hochkarätern, frage ich mich, wieso man Millionen für die Schauspieler und das Setup in die Hand nimmt und sich nicht einmal einen medizinischen Berater auf Halbtagsbasis leisten kann. Speziell Reanimationsszenen veranlassen meine Nackenhaare doch immer wieder sich in einem wüsten Aufschrei zu erheben.
Ganz anders ist das bei einer Serie, die ich vor einiger Zeit entdeckt habe: The Knick. Dabei geht es um das Personal eines New Yorker Krankenhauses um das Jahr 1900 herum. Wir begleiten den Chefarzt der Chirurgie und seine Assistenten im Krankenhausalltag und werden dabei Zeuge spannender Eingriffe und abgefahrener medizinischer Praktiken.
Wieso ich euch davon erzähle? Die Serie gewährt einige wirklich faszinierende Einblicke in die vergangenen Tage der Medizin. Man erfährt wie alles seinen Anfang nahm, wie mutige Chirurgen sich auf die lange Reise zum Mittelpunkt des Körpers machten. Und wie sie dabei scheiterten. Denn das Scheitern ist ein essentieller Faktor in The Knick, ja mit dem Scheitern fängt die ganze Serie an. Als nämlich das Chirurgenteam versucht einer Patientin mit Placenta praevia und ihrem ungeborenem Kind das Leben zu retten, kommt es zu (unvorhersehbaren) Komplikationen. Auf faszinierende Art und Weise werden die Zuschauer in die Probleme der ersten großen Operationen eingeführt. Probleme, die wir Mediziner von heute uns kaum vorstellen können. Da wäre zum Beispiel die mechanische Absaugvorrichtung, die nur so effektiv saugt wie der entsprechende Bediener die Kurbel betätigt. Da wäre die fehlende Intubation, von Monitorüberwachung ganz zu schweigen. Der Tod wird am Ende der Szene von der Krankenschwester mit Hilfe des Stethoskopes festgestellt. Außerdem völlig fremd sind uns die vielen OP-Zuschauer, die dem Eingriff im Hörsaal, dem Ort des Geschehens, beiwohnen. Auch mit der Hygiene nahm man es nicht so genau. Zwar desinfiziert der Operateur seinen Vollbart (!) in einem Bad aus Alkohol, Handschuhe, Gesichtsmasken oder andere, durchaus vernünftige Gegenstände des heute alltäglichen chirurgischen Gebrauchs, sucht man allerdings vergebens. Gerade, dass es offenbar niemanden störte ohne Handschuhe in den Eingeweiden der Patienten herumzuwühlen, fand ich persönlich, na ja, sagen wir interessant.
Faszinierend ist außerdem, dass man ohne bildgebende Verfahren, ohne jedwede apparative Diagnostik in der Lage war, eine Placenta praevia so zuverlässig zu diagnostizieren, dass sich daraus eine OP-Indikation ableiten lies.
Und so drängen sich die zwei Staffeln der HBO-Produktion geradezu auf, wenn man sich über den Unterschied zwischen bestimmten Verfahren von damals und denen von heute Gedanken machen möchte. Und genau das habe ich mir in dieser Blogreihe vorgenommen. Keine Angst; ihr müsst euch jetzt nicht sofort alle Folgen von The Knick reinziehen, um meinen Erzählungen folgen zu können (obwohl ich es nur empfehlen kann). Ich werde mir jedes Mal ein Thema herauspicken, um es dann so zu diskutieren, dass mediales Vorwissen nicht unbedingt erforderlich ist.
In diesem Sinne bis zum nächsten Mal,
Euer Falk.
Vita
Geboren 1984, arbeitet Falk Stirkat seit 2010 als Arzt. Seiner anfänglichen Tätigkeit in einer großen chirurgischen Klinik ging das Studium der Humanmedizin an der renommierten Karls-Universität in Prag voraus. Es folgten Ausbildungszeiten in Notaufnahme und Intensivstation. Heute arbeitet der Autor als Leiter einer großen Notarztwache. Von seinen Erfahrungen als Notarzt erzählt er in seinen Büchern ich kam, sah und intubierte und 111 Gründe, Arzt zu sein.