An den Anfang ihres Vortrags stellte Reinisch eine Begriffsklärung: So werde Senologie (die Lehre von der weiblichen Brust) häufig mit Sinologie (die Lehre von der chinesischen Sprache und Kultur) verwechselt – beispielsweise auch bei der Autokorrektur einer Google-Suchanfrage.
In der Behandlung von Brustkrebs habe sich in den letzten Jahrzehnten viel getan, erläuterte Reinisch: War es früher noch üblich, bei einer Erkrankung die gesamte Brust inklusive Brustmuskel und Lymphknoten zu entfernen, könne man heute die Brust in ihren Konturen und ihrer Funktionalität komplett erhalten. Dabei bewegt sich die Senologie eng am Puls der Zeit und der wissenschaftlichen Entwicklung: 2018 wurde der Nobelpreis für Medizin an den US-Wissenschaftler James P. Allison und den japanischen Forscher Tasuku Honjo verliehen. Die beiden Wissenschaftler hatten entdeckt, dass bestimmte Proteine das Immunsystem bremsen und es von Tumor-Bekämpfung abhalten. Das komme auch der Brustkrebs-Bekämpfung zugute, erklärte Reinisch.
Veränderung prägt die Senologie der letzten Jahre
Sowohl operativ als auch systemtherapeutisch gebe es in der Senologie derzeit viele Veränderungen, erklärte Reinisch: "Da haben wir einen großen Schatz an Forschungsmöglichkeiten, internationaler Vernetzung und viel Raum für eigene Ideen". So habe etwa Angelina Jolie für Schlagzeilen gesorgt, weil sie sich vor einigen Jahren prophylaktisch die Brustdrüsen entfernen ließ. Ursache war ein genetischer Defekt, der bei Jolie das Risiko für Brustkrebs stark erhöhte. Mit ihrem Beispiel habe die Schauspielerin das Thema aus Fachkreisen hinaus in die allgemeine Diskussion gebracht.
Ein anderes Thema, das die Senologie prägt, ist die Überschneidung von Brustkrebs und Schwangerschaft. So sei es möglich, eine Schwangere mit einer Chemotherapie zu behandeln, ohne dem Kind zu schaden. Hier sei eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Pränataldiagnositk wichtig.
In großen Zentren seien die Senologen selbst für die Chemotherapie und auch für nötige Operationen verantwortlich, erklärte Reinisch – also für Aufgaben, die sonst häufig von Onkologen und Chirurgen übernommen werden. Wichtig für die Patientinnen sei es vor allem, möglichst frühzeitig die richtige Therapie einzuleiten. Allerdings müsse es nicht immer eine Chemotherapie sein – es gebe auch andere Möglichkeiten.
Fokussiert auf einen kleinen Bereich der Gynäkologie
"Man ist nur dann richtig gut, wenn man sich auf etwas konzentriert", erklärte Reinisch den Wert der hochspezialisierten Senologen. Obwohl die Fachärzte zunächst die normale gynäkologische Weiterbildung durchlaufen, fallen für Senologen andere Kernbereiche des Fachs später weg: So seien Senologen nicht für Geburtshilfe und ode die Krebsbehandlung an anderen Körperteilen, wie etwa den Eierstöcken, zuständig. "Wir müssen nicht morgens Zwillinge zur Welt bringen, nachmittags ein Ovarialkarzinom operieren und uns abends um Brustkrebs kümmern", fasste Reinisch zusammen. Allerdings gehe es nicht immer nur um Krebserkrankungen – die Senologie sei beispielsweise auch für Brustvergrößerungen und -verkleinerungen zuständig.
Bei einem so stark spezialisierten Fachbereich spielt natürlich die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Spezialisten eine Rolle: So gebe es eine enge Kooperaion mit der Palliativmedizin, der Psychoonkologie, der Physiotherapie und den Breastcare Nurses, die die Patientinnen als eine Art Lotsinnen durch die Krankheit begleiten und sie sehr eng betreuen. Außerdem gebe es im Brustkrebszentrum der Kliniken Essen-Mitte (KEM) eine eigene Radiologie, die auf Brustkrebs spezialisiert ist.
Quelle: Operation Karriere Bochum, 18.05.2019, "Karriere in der Senologie – Interdisziplinarität auf höchstem Niveau", Dr. med. Mattea Reinisch, Stellvertretende Direktorin der Klinik für Senologie/Interdisziplinäres Brustkrebszentrum, Leiterin des zertifizierten Brustkrebszentrums KEM, Evang. Kliniken Essen-Mitte