Solingen-Ohligs bei Wuppertal, ein ruhiges Wohnviertel – die Praxis liegt im Erdgeschoss eines schön renovierten Altbaus. Hohe Fenster, hohe Decken. „Dr. med. Norbert Hartkamp, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychoanalytiker DGPT“ steht auf dem Schild neben der Eingangstür. Im Wartezimmer liegen Zeitschriften, „Psychologie heute“ und ein Magazin über Technik – und einige Bücher. Ein Comic ist dabei, „Freud für Anfänger“, Rowohlt Verlag. Wer darin blättert, erfährt unter anderem, dass Sigmund Freud 1882/83 ein sechsmonatiges Praktikum bei dem Internisten Carl Wilhelm Hermann Nothnagel im Wiener Allgemeinen Krankenhaus gemacht hat. „Nothnagel ist hervorragend, aber ich kann mich nicht begeistern“, überlegt der 26-jährige Freud in dem Comic. Jeder weiß: Er wird nicht Internist oder Chirurg. Er macht etwas anderes. Eine andere Medizin.
Wie wird man Psychoanalytiker und Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie?
Hartkamp hat zunächst mit somatischer Medizin begonnen – Gynäkologie und Geburtshilfe. Das besondere Interesse an zwischenmenschlichen Problemlagen war aber schon immer da: Neben dem Medizinstudium hat er größere Abschnitte des Psychologiestudiums absolviert, parallel. Über eine Promotion kam er in die Psychosomatik und hier im Rahmen der Weiterbildung zur Psychoanalyse. In einer langen Kliniklaufbahn war er seit Mitte der 80er-Jahre Oberarzt, Leiter einer psychosomatischen Klinik und zeitweise auch hauptsächlich Wissenschaftler. Anfang 2012 hat er sich niedergelassen und arbeitet in seiner Praxis in Solingen-Ohligs.
„Das Besondere an der ärztlichen Psychosomatik und Psychotherapie ist die Breite der Therapie, die Sie einbringen“, erläutert Hartkamp: Da ist zunächst die eigentliche Psychotherapie. Bei ihm ist sie tiefenpsychologisch orientiert. Andere Fachärzte arbeiten eher verhaltenstherapeutisch. Dann ist da die wichtige medizinisch- somatische Kompetenz. Die Arzneimitteltherapie – drittens – ist auch bedeutsam. In Phasen des therapeutischen Prozesses kann sie einen wichtigen Stellenwert einnehmen. Häufig auch nicht. Aber wenn sie notwendig ist, weiß Hartkamp sie einzusetzen. Außerdem arbeitet er sozialmedizinisch. Dabei geht es zum Beispiel um Begutachtungen oder um schrittweise Wiedereingliederungen in den Beruf und die Zusammenarbeit mit Arbeitgebern und Betriebsärzten.
Hartkamp kommt morgens gegen 8.00 Uhr in die Praxis. „Ich habe den großen Vorteil, mit zwei Helferinnen zu arbeiten, die Termine entgegennehmen und Verwaltungsaufgaben erledigen“, erläutert er. Um 8.30 Uhr sieht er den ersten Patienten. Das Behandlungszimmer ist ein gemütlich eingerichteter Raum mit einer Bücherwand – medizinische und psychologische Fachbücher – Schreibtisch, einer Liege und bequemen Stühlen.
Heute kommt Michael Werth. Der 56-jährige Maschinenbaumeister war jahrelang – jahrzehntelang – Mitarbeiter in einem Solinger Stahlwarenbetrieb. Bis zum „Technischen Leiter Werkzeugbau“ hat er sich emporgearbeitet. Hartkamp sitzt ihm im Stuhl gegenüber. „Der Betrieb war mein Leben“, sagt Werth. Dann kam eine neue Geschäftsführung, persönliche Differenzen, Umstrukturierungen – Werth wurde erst arbeitslos, dann erlitt er einen Hinterwandinfarkt. Nicht nur arbeitslos, sondern auch noch arbeitsunfähig, zumindest zeitweilig! Werths Welt wurde grau, immer grauer. Neben der kardiologischen Therapie erhielt er eine psychotherapeutische Behandlung. Erst in Einzelgesprächen, später in einer Gruppentherapie besserte sich die Depression. Werth orientierte sich auf dem Arbeitsmarkt neu. „Nicht einfach für einen Maschinenbaumeister jenseits der 50 Jahre“, erzählt er. Aber Werth ist ein Tatmensch. Er gründete die eigene Firma. Mittlerweile macht er dem alten Betrieb Übernahmeangebote für Teile des Maschinenparks, mit dem er früher gearbeitet und den er zum Teil selbst gebaut hat.
Depressionen, Angststörungen, Adipositas
Psychotherapie, medizinisch-somatische Kompetenz, Arzneimitteltherapie und Sozialmedizin – hier kommt alles zusammen. „Ohne die Behandlung wären sie heute ein unglücklicher vorzeitiger Rentner, oder?“, fragt Hartkamp. „Auf jeden Fall! Ich war krank, wirklich schwer krank“, entgegnet Werth. Hartkamp behandelt in der Praxis unter anderem Patienten mit Depressionen, mit Angststörungen und mit Persönlichkeitsstörungen. Auch viele Menschen mit Adipositas suchen ihn auf. Die Behandlungsdauer und Intensität richtet sich nach dem Bedarf. Grundsätzlich stehen vier Möglichkeiten zur Auswahl: Eine Akuttherapie von maximal zwölf Stunden Gesprächspsychotherapie oder eine Kurzzeittherapie, die bis zu 24 Stunden dauert. „In dieser Zeit können Sie schon vieles auflösen“, so Hartkamp. Reicht dies nicht aus, ist eine Langzeittherapie von 60 bis 100 Stunden möglich oder auch eine sogenannte analytische Intensivtherapie, die bei unterschiedlicher Länge mehrmals die Woche stattfindet. „Viele der Patienten sind sehr schwer krank. Es ist Unsinn, dass die Psychiatrie die schweren Fälle versorgt und die Psychotherapie eher die leichten“, erläutert er. Werth nickt dazu.
Hartkamp gibt noch ein weiteres Beispiel: Von einer Patientin, die bereits mit 28 Jahren wegen psychischer Störungen frühberentet war, mit vielen Schnitten an Armen und Beinen von selbst verletzendem Verhalten. „Ein Mensch in großen Schwierigkeiten, die offensichtlich nicht im Entferntesten mit sich im Reinen war“, so Hartkamp.
Nach einer Intensivtherapie ist die Patientin heute – 32 Jahre alt – berufstätig und macht im Abendgymnasium ihr Abitur nach. „Eine junge Frau, die ihr Leben in die Hand nimmt, das macht mich sehr froh!“, so Hartkamp. Er betont: „Die Psychotherapie und Psychosomatik ist unglaublich kosteneffektiv!“ Sie ermöglicht Menschen wieder am Leben und der Arbeitswelt teilzuhaben. Dafür taucht der Therapeut während der Behandlung oft tief in die Biografie und die Gefühls- und Gedankenwelt der Patienten ein. „Viele Patienten wachsen mir sehr ans Herz und ich lerne natürlich auch im Gegenzug oft sehr viel von ihnen“, betont Hartkamp.
Ein ausgefüllter Tag: Therapiesitzungen, Supervision und Coaching
Die Patienten kommen im Stundentakt in die Praxis. Hartkamp leitet außerdem Gruppentherapie-Sitzungen, macht Supervisionen und bildet Ärzte fort. Auch Coaching und Supervision stehen auf seinem Programm. Außerdem betreut er zwei Ärzte in Weiterbildung. Dazu hat er in einem Nebengebäude zusätzliche Räume eingerichtet. „Wir besprechen die Patienten und die therapeutischen Strategien. Zum Teil gehen wir auch Tonaufzeichnungen von Therapiesitzungen durch“, erläutert Hartkamp das Vorgehen.
Hartkamp hat lange Tage. Noch länger werden sie, weil er sich nicht auf die Arbeit in der Praxis beschränkt, sondern für die Fachgruppe auch im Berufsverband und in der Fachgesellschaft tätig ist. Genauer: Er ist stellvertretender Vorsitzende des Berufsverbandes der Fachärzte für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Deutschlands (BPM) sowie Vorstandsmitglied in der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM). In der wissenschaftlichen Fachgesellschaft vertritt er die Gruppe der niedergelassenen Ärzte. Leitlinienarbeit und -umsetzung sowie Fortbildung sind wichtige Arbeitsschwerpunkte der DGPM. „Der Berufsverband setzt sich dagegen schwerpunktmäßig eher für eine vernünftige Gestaltung der Versorgung ein und arbeitet dafür zum Beispiel mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen zusammen“, erläutert Hartkamp.
Und was sind Forderungen der Berufsgruppe, was wollen sie erreichen? „Wir würden als ärztliche Psychotherapeuten in der Praxis gern multimethodal arbeiten und Ergotherapeuten, Sozialarbeiter und andere in den Praxen bündeln“, erläutert Hartkamp. Dies ist im Augenblick den Kliniken vorbehalten. „Die Honorarordnung ist ein weiteres wichtiges Thema und im Augenblick auch die Bedarfsplanung, also die Zulassung von Praxissitzen“, so Hartkamp. „Wir arbeiten für eine eigene Bedarfsplanung für psychosomatische Mediziner“, erläutert er.
Was treibt ihn an? „Ich möchte gern Dinge zum Besseren gestalten“, erläutert er. „Außerdem – ich bin doch privilegiert. Davon möchte ich gern etwas zurückgeben!“
Wie wird man Facharzt/Fachärztin für Psychotherapie?
„Das Gebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie umfasst die Erkennung, psychosomatisch-medizinische und psychotherapeutische Behandlung, Prävention und Rehabilitation von Krankheiten und Leidenszuständen, an deren Verursachung und Chronifizierung psychosoziale, psychosomatische und somatopsychische Faktoren einschließlich dadurch bedingter körperlich-seelischer Wechselwirkungen maßgeblich beteiligt sind“, heißt es in der neuen (Muster-)Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer. Die Weiterbildung dauert 60 Monate, davon müssen zwölf Monate in anderen Gebieten der somatischen Patientenversorgung abgeleistet werden, zum Beispiel der Inneren Medizin. Zwölf Monate Weiterbildung können in Psychiatrie und Psychotherapie und/oder Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie erfolgen. Die konkreten Regelungen vor Ort bestimmen die Weiterbildungsordnungen der einzelnen Landesärztekammern. Unbedingt hier informieren!