Haben wir es doch geahnt – und jetzt ist es klar!“, sagt Eva Maria Quade und deutet mit dem Zeigefinger auf einige Zahlenkolonnen auf dem Bildschirm vor ihr. Sie greift zum Telefon. „Die Knochenmarktransplantation kann nicht so ablaufen wie geplant“, erläutert sie, während sie eine Nummer in das Gerät tippt, „da muss ich schnell Bescheid geben“.
Eva Maria Quade ist 26 Jahre alt. Seit vergangenem Dezember arbeitet sie im MVZ – Labor Dr. Quade & Kollegen im Kölner Westen. „MVZ“ steht für „Medizinisches Versorgungszentrum“ und ist die Organisationsform für die Zusammenarbeit der acht Ärzte des Zentrums. Vorher hat Quade ein Jahr in einer Bonner Klinik in der Inneren Medizin gearbeitet. „Labor Dr. Quade & Kollegen“? Erst 26 Jahre alt und schon ein eigenes Labor? Quade lacht und schüttelt den Kopf. „Nein, natürlich nicht.“ Ihre Mutter, Dr. med. Annegret Quade, ist die medizinische Leiterin und Geschäftsführerin des Labors, daher der Name.
Von der Inneren ins Labor - wie fühlt sich das an?
Quade deutet noch einmal auf den Bildschirm. „Das sind Untersuchungsergebnisse eines Knochenmarkspenders“, erläutert sie. Er wurde aus der Spenderdatenbank aufgrund seiner Typisierung für einen Plasmocytom-Patienten ausgewählt. „Aber dann ist uns das erhöhte IgM aufgefallen: ein Antikörperindex von 1,09“, so Quade. Der Normbereich reicht bis 1,00. Also eine geringfügige Erhöhung. IgG war nicht nachweisbar, also keine Serokonversion. „Wir haben trotzdem nachkontrolliert, aus Sicherheit“, sagt Quade. Das IgM liegt nun bei 13,1, ist also massiv erhöht. In Verbindung mit anderen Analysewerten ist jetzt klar: Der potenzielle Knochenmarkspender leidet unter einer frischen Toxoplasmose. „Er hat keine Symptome der Infektion, gibt auf Nachfrage aber an –“, Quade blättert in Unterlagen auf ihrem Schreibtisch, „– Katzenbesitzer zu sein. Das passt zusammen!“
Nach einem Jahr als Assistenzärztin in der Inneren Medizin der Wechsel in das Labor – wie fühlt sich das an? Was ist anders? „Das war schon eine große Veränderung“, sagt Quade, „mir fallen spontan ein Dutzend Unterschiede zu der Arbeit in der Klinik ein!“ Sie lacht. „Nein, das ist jetzt etwas übertrieben, aber es ist doch anders. Das fängt schon mit den Räumlichkeiten an.“ Sie deutet mit einer Armbewegung umher. Die Ärzte des Labors haben ihre Arbeitsplätze in einem gemeinsamen großen und hellen Büro, jeder mit seinem eigenen Schreibtisch und Arbeitsbereich. An der Wand Bilder, an den Arbeitsplätzen neben Bildschirmen auch Bücher und Zeitschriften. „Bei Fragen, Unklarheiten oder wenn uns etwas Besonderes auffällt, können wir uns direkt an die anderen wenden und das kurz und unkompliziert besprechen“, so Quade. „Jeder profitiert direkt von der Erfahrung und der Spezialisierung der anderen. Für mich als Weiterbildungsassistentin ist das natürlich besonders wichtig.“ Das bestätigt auch Dr. Eike Albers. Er ist Facharzt für Laboratoriumsmedizin und Quades direkter Ansprechpartner in der Weiterbildung. „Der Schlüssel zwischen Weiterbildungsassistenten und weiterbildungsberechtigtem Fach- oder Oberarzt ist in der Labormedizin eigentlich unschlagbar“, erläutert er. Auf zwei Weiterbildungsassistenten kommen vier Weiterbildungsberechtigte, die Betreuung ist besser als eins zu eins. Ein Mentorenprogramm braucht die Labormedizin also eigentlich nicht – die Weiterbildung ist schon in der Routine oft so intensiv und persönlich wie eine Mentorenschaft.
„Wir stehen nicht mit Pipetten vor Tischen"
Das Automatenlabor ist das Herzstück des Labors und gleicht einer Fabrikhalle: Quade hat hier den ersten Monat ihrer Zeit in der Laborpraxis verbracht und die verschiedenen Analysewege und -methoden kennengelernt.
Auf dem Schreibtisch von Quade liegen medizinische Fachzeitschriften – Nature Medicine, Lancet Oncology, Blood. Sie deutet auf ein Heft gespickt mit gelben Post-its®. „Der nächste Unterschied zu meiner Zeit in der Inneren – ich habe vielmehr Gelegenheit, mich in Themen intensiv einzuarbeiten, Studien und Reviews zu lesen“, erläutert sie. In der Klinik blieb dazu im Stationsalltag oft wenig Zeit. „Der Tagesablauf ist hier freier, weniger vorgegeben, wir können eher eigene Schwerpunkte setzen und uns in Themen tiefer einarbeiten“, berichtet sie.
Mit einem Vorurteil möchte sie sofort aufräumen: „Wir stehen nicht mit Pipetten vor Tischen, auf denen sich Probenröhrchen und Reagenzgläser häufen“, betont sie. „Über den Arbeitsalltag von uns Laborärzten gibt es auch unter Medizinern manches Vorurteil“, bestätigt Albers. „Was ein Laborarzt eigentlich macht, das erfährt man ja im Studium nicht so recht. Außerdem ist die Tätigkeit weniger festgelegt als zum Beispiel die eines Urologen, Internisten oder Chirurgen, der in der Klinik eine Station oder Funktionsbereiche zu betreuen hat“, ergänzt Quade.
Der Tag beginnt gegen 9 Uhr
Der Tag beginnt für Quade morgens gegen 9 Uhr. „Gegenüber der Klinik ist alles zeitlich etwas nach hinten verschoben, weil die Laboranforderungen der Kliniken und Praxen erst im Laufe des Vormittags, meist ab 11 Uhr, bei uns eintreffen“, erläutert sie, „die kommen aber nicht hier oben bei uns an, sondern unter in der Schleuse zum Automatenlabor.“ Quade und Albers schlüpfen in ihre Arztkittel, über zwei Treppen, etliche Türen, geht es in dieses „Automatenlabor“. Das ist ein turnhallengroßer und -hoher Raum, sehr hell und freundlich, mit Analysegeräten, Arbeitsbänken, einem Kühlhaus, Schüttlern, Sortierern, Computern und und und. Hier sieht es nun wirklich aus wie in einem Großlabor. Rund 30 Medizinisch-Technische Angestellte und andere Mitarbeiter stehen an den Tischen, bedienen und kontrollieren Geräte, mikroskopieren, färben ... „Die eintreffenden Proben kommen durch die Schleuse zunächst zum Probenidentifikationstisch und werden dann auf die verschiedenen Automatenstraßen verteilt“, erläutert Quade. „Automatenstraße“, das bedeutet aber nicht, dass hier Roboter die Röhrchen aufnähmen und verteilten wie in Fabrikhallen der Automobilindustrie, aber es sind doch vielfach Labor-Großgeräte, die Proben trennen, Kalzium bestimmen,
Eine Klinik hat Blut und Knochenmarkaspirat geschickt. Quades Aufgabe ist es, die Leukämieform zu diagnostizieren, damit die bestmögliche spezifische Therapie eingeleitet werden kann.
Qualitätssicherung besonders wichtig
Den ersten Monat ihrer Zeit in der Laborpraxis hat Quade hier im Automatenlabor verbracht und die verschiedenen Analysewege und -methoden kennengelernt. „Es ist wichtig, sich in die Techniken einzuarbeiten und zum Beispiel Fehlermöglichkeiten zu kennen“, erläutert sie. „Nach einiger Zeit geht es in unserer Arbeit aber vor allem darum, auffällige Werte, die sich hier ergeben, medizinisch einzuordnen. Wir sprechen viel mit den Ärzten in der Praxis und der Klinik, und diskutieren die Ergebnisse“, sagt Albers. Dazu gehört auch, die Grenzen der verschiedenen Verfahren und die diagnostische Aussagekraft der Ergebnisse zu bewerten. Besonders wichtig ist zudem die Qualitätssicherung der Verfahren. „Letztlich sind sie der Spezialist für die interessanten Fälle und nicht für die Routine“, so Albers.
Nach dem Besuch im Automatenlabor gehen Quade und Albers hinüber zur mikrobiologischen Diagnostik. Auf dem Weg erreicht die beiden ein Anruf: Eine Klinik vermutet bei einem vierjährigen Kind eine akute Leukämie und muss für die Therapieplanung möglichst schnell wissen, ob es sich um eine myeloische oder lymphatische Form handelt, also um eine AML oder ALL. Quade und Albers eilen in einen Raum, der für diese Spezialanalysen ausgestattet ist. Hier bereiten sie alles für die gleich ankommende Probe vor. Die Klinik hat peripheres Blut und Knochenmarkaspirat angekündigt. Zusammen mit ihrem Team werden die beiden die Probe mikroskopisch untersuchen, die relevanten Zellpopulationen anreichern und mit monoklonalen Antikörpern gegen Oberflächenantigene lymphatischer beziehungsweise myeloischer Zellreihen versetzen. Nach dem Waschen der Zellprobe bleiben die Antikörper zurück, die an einem Antigen angedockt haben. Die Antikörper wiederum sind mit Fluoreszenzfarbstoffen gekoppelt – die Antigentragenden Zellen sind damit markiert.
Ein weiteres Gerät kann sie in der Einzelzelluntersuchung erkennen und zählen. Viele Arbeitsschritte laufen jetzt parallel, das Ergebnis soll möglichst schnell feststehen. „Wir wissen gleich, wie der Anteil von CD45-positiven Zellen ist, aber auch von CD3-, CD19-, CD34-positiven und vielen anderen“, erläutert Albers. Damit können die Laborärzte die Leukämie klassifizieren. Kurze Zeit später steht das Ergebnis fest und Albers kann die behandelnden Ärzte anrufen. „Das Kind kann jetzt im Rahmen klinischer Studien die bestmögliche spezifische Therapie bekommen“, freut sich Quade, „ist das nicht großartig?“ Besonders interessant und herausfordernd findet sie, im Labor neueste Forschungsergebnisse umzusetzen. „Die Haltung ‚Das haben wir immer schon so gemacht‘ gilt in der Labormedizin nicht, Sie können und müssen neue Methoden und Verfahren natürlich möglichst rasch etablieren“, so Quade.
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