"Im Studium kam mir die Neurologie sehr theoretisch vor"

Neuroanatomie heißt im Medizinstudium auch, viele Fachbegriffe auswendig zu lernen. Warum sich Dr. med. Frédéric Zuhorn, Oberarzt und Facharzt für Neurologie am Evangelischen Krankenhaus Bethel, dennoch für eine Weiterbildung in diesem Fachbereich entschieden hat, sagt er im Interview.

Dr. med. Frédéric Zuhorn (l.) im Gespräch mit einem Kongressbesucher bei Operation Karriere im November 2018 in Köln. | Reinhart

Detektivischer Spürsinn ist in der Neurologie gefragt, sagt Dr. Frédéric Zuhorn, deshalb sollte ein Neurologe auch heute noch ein guter Zuhörer sein. Aber natürlich benötigt man weitere Charaktereigenschaften, um die oftmals komplexen neurologischen Erkrankungen zu erkennen und angemessen zu behandeln. 

Operation Karriere: Welche Erkrankungen zählen zum Fachbereich der Neurologie und welche Untersuchungen führt ein Neurologe durch?

Dr. Frédéric Zuhorn: In der Neurologie sind in erster Linie die dezidierte Anamneseerhebung sowie die klinische Untersuchung - zunächst ohne technische Hilfsmittel und ohne Bildgebungsverfahren – sehr wichtig.

Früher hatte man gar nicht die Möglichkeit, ein vernünftiges MRT oder CT zu machen. Die Ärzte waren einzig auf die Erkenntnisse aus der körperlichen Untersuchung und dem Gespräch mit dem Patienten angewiesen, um die Diagnose zu stellen. Diese beiden Schritte stehen auch heute immer noch an erster Stelle. Man kann sich darüber bereits ein sehr gutes Bild machen, was dem Patienten fehlt. Erst dann folgt die Entscheidung, welche weiteren Schritte notwendig sind und welche Bildgebung genutzt wird.

Ein typisches Beispiel für eine neurologische Erkrankung ist der Schlaganfall, der leider durchaus auch bei 18- oder 28-jährigen Patienten vorkommt, nicht nur bei 80-jährigen Menschen. Dazu kommen die Multiple Sklerose und neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson sowie akute Erkrankungen wie die Meningitis und die Enzephalitis.

Welche Fähigkeiten sollte ein Neurologe mitbringen, um den Anforderungen des Berufs gerecht zu werden?

Dr. Frédéric ZuhornGrundsätzlich ist es als Arzt wichtig, teamfähig zu sein und Empathie sowie Geduld zu haben. Man muss die Patienten ernst nehmen und gut zuhören, um die Symptome exakt definieren zu können. Viele Patienten sind sehr mitteilungsbedürftig – hier muss der Neurologe detektivisch arbeiten und herausfiltern, welche Informationen für die Diagnose und Therapie wichtig sind. Die Teamfähigkeit muss auch in der interdisziplinären Zusammenarbeit gegeben sein, damit im Verbund mit den anderen Fachrichtungen dem Patienten die bestmögliche Therapie zuteilwerden kann.

Wie verläuft die Ausbildung zum Facharzt für Neurologie und wie lange dauert diese?

Dr. Frédéric ZuhornNach dem Medizinstudium, das ja generell sechs Jahre dauert, bekommt man die Approbation und dann fängt die Facharztweiterbildung an. In der Neurologie sind hier insgesamt fünf Jahre als Mindestzeit vorgegeben. Davon müssen angehende Neurologen mindestens ein Jahr in der Psychiatrie absolvieren – hier lernt man den Umgang mit Menschen, der aufgrund ihrer Erkrankung manchmal auch etwas schwieriger sein kann.

In den weiteren vier Jahren gehört mindestens ein halbes Jahr Intensivmedizin bzw. Stroke-Unit, also die Schlaganfall-Station, mit dazu sowie die Akutversorgung von Patienten in der Notaufnahme. Außerdem gibt es verschiedene Rotationen in die Elektrophysiologie, in die Ultraschalldiagnostik und das EEG zählt ebenfalls zu den vorgeschriebenen Untersuchungen.

Was hat sich in den vergangenen Jahren in der Neurologie getan? Würden Sie die Neurologie als dynamisches Fach bezeichnen? Wird zur Diagnostik und Therapie moderne Technik eingesetzt?

Dr. Frédéric ZuhornDas klassische Beispiel ist die Diagnostik – früher hat man den Patienten Sauerstoff ins Ventrikel-System gespritzt und damit dann Pneumenzephalographien gemacht, um eventuell Veränderungen im Gehirn wie Tumoren erkennen zu können. Das hat sich enorm entwickelt, wir arbeiten hier eng mit den Neuroradiologen zusammen. Es gibt die Schnittbildgebung mit einer detaillierten Computertomographie mit oder ohne Kontrastmittel, die Angiographie und das MRT in hochauflösenden Formaten. Einer der Meilensteine der letzten Zeit ist die Möglichkeit, nach einer sytstemischen Lysetherapie bei akuten Schlaganfällen den Patienten mit Thrombektomien, also der Entfernung von Blutgerinnseln, helfen zu können.

Aus welchen Gründen haben Sie sich für die Neurologie entschieden?

Dr. Frédéric ZuhornIm Studium kam mir die Neurologie sehr theoretisch vor, es wurde sehr viel Neuroanatomie behandelt, man musste sehr viel auswendig lernen. Erst im Praktischen Jahr habe ich das Fach richtig kennengelernt und fand es enorm spannend, weil man sich tatsächlich, wie bei der ersten Frage erwähnt, mit der Anamnese und klinischen Untersuchung ein gutes Bild verschaffen kann, was dem Patienten fehlt. Man muss nicht sofort Röntgenstrahlen oder Ähnliches benutzen – diese „Detektivarbeit“ finde ich einfach spannend. Außerdem macht es mir viel Spaß, sich im Team gemeinsam um die Patienten zu kümmern, auch interdisziplinär.

Die Neurologie wächst immer weiter, es gibt gute neue Therapien. Erkrankungen, bei denen man früher kapitulieren musste, kann man heute gut stoppen oder heilen.

Quelle: Interview auf dem Operation Karriere-Kongress in Köln, 17. November 2018.

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