Grund 34: Weil Bereitschaftsdienste eine tolle Sache sind
Jetzt hat der Typ vollständig den Verstand verloren!, werden Sie bei dieser Überschrift vermutlich denken. Auch ich war in Bezug auf Bereitschaftsdienste anfänglich ziemlich skeptisch. Da geht man also irgendwann nachmittags ins Krankenhaus, arbeitet die Dinge nach, die während der Tagschicht liegen geblieben sind, nimmt unter Umständen an der Nachmittagsbesprechung teil und schaut dann zu, wie sich das Arztzimmer nach und nach leert, bis nur noch man selbst, der arme, einsame Dienstarzt, im Hause ist. Es dauert auch nicht lange, bis sich der Pieper oder in moderneren Kliniken eventuell auch das Telefon meldet und mitteilt, dass irgendwo irgendwer die Hilfe des Dienstarztes bitter nötig hat. Meist handelt es sich um einen neuen Patienten in der Notaufnahme oder ein Hilfsgesuch der Intensivstation. Und so geht das dann die ganze Nacht.
Ist man als Chirurg tätig, so kann es sein, dass man irgendwann um kurz vor Mitternacht den OP betritt und bis frühmorgens nicht mehr rauskommt. Und als wäre das alles nicht genug, kommt noch hinzu, dass der Dienstarzt, besonders in kleineren Kliniken, die komplette medizinische Verantwortung trägt. Zwar gibt es immer einen Hintergrunddienst, der nächtigt aber meist zu Hause. Im Notfall kann man sich also nur auf sich selbst verlassen.
So, jetzt habe ich Ihnen lang und breit erklärt, wie anstrengend und anspruchsvoll so ein Bereitschaftsdienst ist. Aber hieß es in der Überschrift nicht, dass Bereitschaftsdienste eine tolle Sache sind? Sind sie! Denn all die Dinge, die ich gerade aufgezählt habe, können durchaus auch positiv ausgelegt werden. Man arbeitet allein, hat also seine Ruhe. Man arbeitet eigenverantwortlich – ist es nicht das, was die meisten Menschen so dringend wollen? Verantwortung übernehmen und damit zeigen, dass sie ihren Job beherrschen, der Chef ihnen etwas zutrauen kann? Die Arbeit ist heterogen. Es heißt, auf alles gefasst zu sein. Während im Tagdienst bürokratische Aufgaben 60–80 Prozent der Dienstzeit in Anspruch nehmen, kann sich der Bereitschaftsarzt auf seine Kernkompetenz konzentrieren: die Medizin.
Zu all dem kommt noch ein ganz wesentlicher Positivfaktor hinzu. Ist nichts los, kann man nämlich auch ganz gemütlich im Bereitschaftsraum abhängen und schlafen, fernsehen oder sonst was machen. Kennen wir nicht alle die Geschichten aus Bereitschaftszimmern? Hier sollen schon ganze Familien gegründet worden sein. Wenn also das Nachtdienstteam passt, dann kann die Arbeit richtig Spaß machen.
So, das sind ja jetzt doch eine Menge Argumente pro Bereitschaftsdienst. Eines fehlt aber noch! Sie werden es vielleicht schon erraten haben: Die Dienste sind ziemlich gut bezahlt. Dabei kommt es ganz darauf an, ob man als angestellter oder als Honorararzt für die Klinik tätig ist. Bei ersterem Arbeitsverhältnis bekommt der Arzt »lediglich« die üblichen Nachtzuschläge. Viele Kliniken können die Dienste aber aufgrund des Ärztemangels gar nicht mehr mit Stammpersonal besetzen. Diese Häuser müssen dann wohl oder übel auf Honorarärzte zurückgreifen. Und die werden richtig gut bezahlt. Bereitschaftsdienste sind wirklich eine coole Angelegenheit. Man muss die Sache nur aus dem richtigen Blickwinkel betrachten.
Vita
Geboren 1984, arbeitet Falk Stirkat seit 2010 als Arzt. Seiner anfänglichen Tätigkeit in einer großen chirurgischen Klinik ging das Studium der Humanmedizin an der renommierten Karls-Universität in Prag voraus. Es folgten Ausbildungszeiten in Notaufnahme und Intensivstation. Heute arbeitet der Autor als Leiter einer großen Notarztwache. Von seinen Erfahrungen als Notarzt erzählt er in seinen Büchern ich kam, sah und intubierte und 111 Gründe, Arzt zu sein.