Ich kam, sah und bloggte – Aus dem völlig verrückten Leben eines (Not)arztes

Exklusiv bloggt der Spiegel-Bestsellerautor Falk Stirkat für Operation Karriere. Er erzählt über seinen spannenden Alltag als Notarzt und gibt Tipps, wie man komplizierte Krankheiten patientengerecht erklärt. Heute: Warum der aufgeklärte Patient wichtig ist.

Hier bloggt Falk Stirkat

Hallo Freunde, 

wichtigste Aufgabe eines Arztes ist, na klar, die Diagnostik und Therapie von Erkrankungen. Soweit sollte mir wohl jeder zustimmen. Aber da gibt es noch etwas – eine Sache, die leider viel zu oft in den Hintergrund tritt – nämlich die Aufklärung des Patienten. Leider steht diese ärztliche Pflicht in Zeiten von Fachkräftemangel und immer mehr alten und komplex kranken Patienten nicht mehr so stark im Fokus, wie es wünschenswert wäre. Wenn am Tag 40 oder 50 Patienten zu sehen sind oder 5 OPs anstehen, dann ist Aufklärung doch eher Kür als Pflicht. Klar, da gibt es die gesetzliche Aufklärungspflicht. Aber da reicht doch eigentlich eine Unterschrift unter dem richtigen Formular, oder? Man rechne mal zusammen, wie viel Zeit es brauchen würde jedem einzelnen, medizinisch völlig unbedarften Patienten die Feinheiten der anstehenden Antikoagulationstherapie nahezubringen. Das geht auf der einen Seite praktisch kaum und, sind wir ehrlich, viele Menschen interessiert das auch einfach nicht. Der älteren Dame von nebenan reicht es völlig zu wissen, dass sie Blutverdünner nimmt. Wieso sie die braucht und welche Gefahren mit deren Einnahme verbunden sind, das will sie lieber nicht so genau wissen. 

Aber Aufklärung ist wichtig und mangelnde Aufklärung kann zum Problem werden – nicht nur juristisch. So begegne ich als Notarzt immer wieder Patienten, deren Wissen über die eigene Krankheit sehr zu wünschen übrig lässt. Das kann insbesondere bei der Beurteilung von Brustschmerzen oder unklaren (neurologischen) Lagen zum Problem werden. 

Hatte der Betroffene nun schon einmal einen Infarkt?
„Irgendwas mit dem Herz war da mal!“

Ist das Vorhofflimmern neu oder schon bekannt?
„Ich nehme einen Blutverdünner, ja.“ Auf Nachfrage ist es dann ASS. 

Oder auch die allseits beliebte Frage nach den Vorerkrankungen: „Nein, ich bin völlig gesund.“ Der Blick auf die halbseitige Medikamentenliste straft den Betroffenen dann schnell Lügen. Dabei ist es müßig die Schuldfrage zu stellen, kann man sie doch weder beantworten, noch wäre eine Antwort in dem Moment hilfreich. 

Wir, die junge Generation der Ärzte, sollten uns eher vor Augen führen, wie wichtig die Aufklärung nicht nur für uns, sondern auch für die, sich uns anvertrauenden Patienten ist. Denn aufgeklärte Patienten arbeiten besser mit. Ihre Compliance ist eine ganz andere. 

Ein Beispiel gefällig?

Vor einer Woche wurde ich zu einem, ungefähr 60-jährigen Mann mit einer Tachykardie gerufen, deren Grund mir zuerst ein echtes Rätsel war. Es handelte sich ganz offenkundig um einen Sinusrhythmus. Der Grund für den Herzschlag von 135/min konnte ich aber beim besten Willen nicht feststellen. Weder fieberte der Patient, noch hatte er erkennbar Stress oder Schmerzen. Erst nach ein paar Minuten intensiver Befragung konnte ich die Lösung finden. Aus eigenem Antrieb hatte der Mann die seit Jahren verordneten Betablocker abgesetzt. Der Blutdruck war immer in Ordnung gewesen (wieso wohl?), so dass es jetzt an der Zeit war ohne Medikamente klar zu kommen. Das Resultat: Eine Rebound-Tachykardie. Kann beim plötzlichen Absetzen von Betablockern schon mal passieren. 

Jetzt können wir nicht jedem Patienten jedes Therapiedetail und jede mögliche Nebenwirkung jeder möglichen Therapie bis in die Haarspitzen erklären, das ist klar. Was wir aber tun können, ist das Interesse am eigenen Körper und der eigenen Krankheit zu wecken. Denn Aufklärung heißt Verantwortung übernehmen zu können und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Nicht umsonst sagen die Amis „informed consent“, also aufgeklärte Einwilligung. Eine Wahl hat nur der, der die Alternativen kennt. Unsere Aufgabe als Ärzte ist es nicht nur den Menschen eine Therapie anzubieten, wir müssen sie auch soweit über Nachteile, Alternativen und so weiter aufklären, dass die Entscheidung vom Patienten selbst getroffen werden kann. Denn nur so macht der auch mit. 

Wir sollten uns als Wegbereiter und Berater sehen – nicht als Entscheider!

Vita

Geboren 1984, arbeitet Falk Stirkat seit 2010 als Arzt. Seiner anfänglichen Tätigkeit in einer großen chirurgischen Klinik ging das Studium der Humanmedizin an der renommierten Karls-Universität in Prag voraus. Es folgten Ausbildungszeiten in Notaufnahme und Intensivstation. Heute arbeitet der Autor als Leiter einer großen Notarztwache. Von seinen Erfahrungen als Notarzt erzählt er in seinen Büchern ich kam, sah und intubierte und 111 Gründe, Arzt zu sein.

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