Hallo liebe Leser,
der Rettungsdienst ist für Menschen da, die gerettet werden müssen! Für Notfälle.
Eigentlich logisch, oder?
Leider ist das nicht immer so. Klar, in der überwältigenden Zahl der Fälle wählen Menschen die 112 nur, wenn sie wirklich in Gefahr sind. Allerdings gibt es auch Ausnahmen. Über diese Situationen, in denen also der Rettungsdienst, aber auch Notaufnahmen missbraucht werden, dreht der Sender RTL eine Reportage und ich wurde gefragt, ob ich für ein Interview und ein paar Aufnahmen zur Verfügung stehe. Und da sage ich nicht Nein! Denn es ist mir ein Anliegen darauf hinzuweisen, dass man den Rettungsdienst nicht leichtfertig rufen sollte, was leider viel zu oft passiert. Ich meine hiermit auf keinen Fall Menschen, die sich nicht sicher sind, ob ihre Symptome nun Zeichen einer akuten schweren Erkrankung sind und uns nicht „belästigen“ wollen. Das festzustellen ist nämlich in der Tat Aufgabe der Notärzte. Wenn Patienten den Rettungsdienst als kostenloses Taxi und gleichzeitige Möglichkeit beim Arzt eher dranzukommen missbrauchen, finde ich das aber sehr verwerflich.
Nicht selten werden wir nämlich alarmiert, weil Menschen zu lange auf einen Arzttermin warten oder sich das Geld für ein alternatives Verkehrsmittel sparen wollen. Auf diese Weise werden auch die Notaufnahmen, in denen hoch ausgebildete Spezialisten dafür vorgehalten werden Menschenleben zu retten, missbraucht und verstopft. Notaufnahmen sind weder dafür da Rezepte auszustellen, noch unterschreiben die dortigen Ärzte Krankschreibungen. Wer sich in Not fühlt, soll unbedingt die 112 rufen. Aber nicht, wer genau weiß, dass die Konsultation eines Rettungsmediziners überhaupt nicht nötig ist. Hausärzte und Niedergelassene gibt es nicht ohne Grund. Sie bilden das Rückgrat der ambulanten Patientenversorgung und kümmern sich sehr gerne um ihre Patienten. Zwar muss man bei niedergelassenen Fachärzten manchmal länger auf einen Termin warten, was lästig ist, aber zum einen bekommt man beim Hausarzt immer sofort einen Termin. Der wird keinen Patienten abweisen. Zum anderen dürfen unter Versäumnissen der Politik nicht diejenigen leiden, die sich um Schwer- und Schwerstkranke kümmern.
Ich habe mir am Wochenende Gedanken über Beispiele meines persönlichen Berufsalltags gemacht, in denen Patienten die Strukturen des Rettungsdienstes missbraucht oder, sagen wir, zweckentfremdet haben. Diese Mühe hätte ich mir sparen können. Denn just gestern Abend wurden mein Team und ich zu einem „akuten Notfall“ gerufen. Wir düsten mit Blaulicht und Tatütata zum Einsatzort. Dort angekommen, stellte sich heraus, dass der Betroffene einfach viel zu lange in der Warteschleife des ärztlichen Bereitschaftsdienstes (die 116117, für alle nicht lebensbedrohlichen medizinischen Notfälle, die nicht bis zum nächsten Werktag warten können) hing und sich seine Geduld irgendwann erschöpfte. Wir fuhren also wegen Rückenschmerzen einige Kilometer unter Zuhilfenahme des Sondersignals. Was bedeutet das eigentlich für uns, aber auch für alle anderen Verkehrsteilnehmer? Einsatzfahrten sind nicht ungefährlich. Obwohl unsere Fahrer geschult sind und so gut aufpassen wie sie nur können, kann es während solcher Fahrten immer wieder zu schweren Unfällen kommen. Erst vor kurzem verunglückte im hessischen Fulda das Notarzteinsatzfahrzeug auf dem Weg zu einem Notfall. Diejenigen, die uns wegen Lappalien rufen oder die 112 einfach wählen, weil ihnen die Alternativen zu umständlich sind, sollten zwei Dinge wissen:
1. Sie setzen unser Leben sowie das Leben anderer Verkehrsteilnehmer unnötigen und vermeidbaren Gefahren aus.
2. Passiert in der Zeit, in der wir uns um ihre Fälle kümmern (jeder Einsatz zieht ja eine Unmenge an Formalitäten nach sich) irgendwo etwas wirklich Ernstes, dann müssen Kräfte aus anderen Bereichen alarmiert werden, die unter Umständen eine wesentlich längere Anfahrt zum Einsatzort haben. Die Folgen für die „richtigen“ Patienten können verheerend sein.
Ich bin also sehr dankbar und erfreut darüber, dass dieses Thema nach und nach in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung rückt und hoffe, dass ich mit meinem Beitrag ein kleines bisschen zur Sensibilisierung der Allgemeinheit beitragen kann. Denn der Rettungsdienst rettet. Er ist kein Taxiunternehmen.
Vita
Geboren 1984, arbeitet Falk Stirkat seit 2010 als Arzt. Seiner anfänglichen Tätigkeit in einer großen chirurgischen Klinik ging das Studium der Humanmedizin an der renommierten Karls-Universität in Prag voraus. Es folgten Ausbildungszeiten in Notaufnahme und Intensivstation. Heute arbeitet der Autor als Leiter einer großen Notarztwache. Von seinen Erfahrungen als Notarzt erzählt er in seinen Büchern ich kam, sah und intubierte und 111 Gründe, Arzt zu sein.