Grund 96: Weil Ärzte immun gegen Krankheiten sind
Ärzte werden nicht krank. Sie können rauchen, trinken, sich überarbeiten und müssen sich auch nicht gegen die saisonale Grippe impfen lassen. Auch im Krankenhaus sind Infektionen prinzipiell etwas für die anderen. Überhaupt sind alle Krankheiten etwas für die anderen. Was unglaublich klingt, ist in vielen Fällen Realität. Weil Ärzte so viel über Krankheiten, Therapien, Diagnosen und, am schlimmsten, Prognosen wissen, ignorieren viele von ihnen ihren eigenen Körper komplett.
Dabei geht die größte Gefahr eigentlich von den sogenannten unklaren Befunden aus. Denn wo andere einen Knubbel fühlen und an eine Zyste, einen Pickel oder einen verhärteten Muskel denken, steht für den einen oder anderen Arzt fest: Es muss Krebs sein. Weil man aber nicht bei jedem Durchfall das West-Nil-Virus und bei jedem Fieber HIV haben kann, beginnt nach einiger Zeit das große Ignorieren: Ich habe mich an einer Nadel gestochen, an der Blut von einem Hepatitispatienten klebt? – Egal, wird schon nichts sein! Mir ist Desinfektionsmittel ins Auge gekommen? – Ach was, fließt auch wieder raus. Hauptsache keine Gefahr für das eigene Leben oder zumindest die eigene Gesundheit eingestehen. Das wäre fatal. Denn Krankheiten enden immer tödlich.
Ich kenne kaum einen Kollegen, der sich nach dem versehentlichen Stich mit einer benutzten Nadel oder einem Schnitt mit dem Skalpell im OP jemals beim Betriebsarzt vorgestellt hat, um einen ernsten Befund auszuschließen. O-Ton: »Da müsste ich ja jede Woche dorthin gehen!« Auch das obligatorische Verhüllen mit Mantel, Handschuhen und Gesichtsmaske vor dem Betreten von Patientenzimmern, deren Bewohner einen MRSA-Keim (multiresistentes Bakterium) in sich tragen, wird oft genug mit dem Kommentar »Meine Abwehr ist gut, mir passiert schon nichts!« abgetan. Und tatsächlich werden die meisten mir bekannten Ärzte oft erst dann bei einem Kollegen vorstellig, wenn Hopfen und Malz verloren sind – also kurz bevor sie zusammenbrechen. Denn neben einem ausgeprägten Pflichtgefühl und einer unglaublichen Ausdauer leiden viele Ärzte vor allem an einem: einer panischen Angst vor Krankheiten.
Vita
Geboren 1984, arbeitet Falk Stirkat seit 2010 als Arzt. Seiner anfänglichen Tätigkeit in einer großen chirurgischen Klinik ging das Studium der Humanmedizin an der renommierten Karls-Universität in Prag voraus. Es folgten Ausbildungszeiten in Notaufnahme und Intensivstation. Heute arbeitet der Autor als Leiter einer großen Notarztwache. Von seinen Erfahrungen als Notarzt erzählt er in seinen Büchern ich kam, sah und intubierte und 111 Gründe, Arzt zu sein.