Wenn die Assistenzärztin Dr. med. Theresa Wirtz morgens gegen sieben in die Klinik kommt, geht sie erst einmal ins Labor und erstellt einen Tagesplan für die anstehenden Versuche – sowohl in der Zellkultur als auch für die laufenden Mausprojekte. „Die Klinik“ – das ist die Klinik für Gastroenterologie, Stoffwechselerkrankungen und Internistische Intensivmedizin der Universitätsklinik RWTH Aachen unter der Leitung von Prof. Dr. Christian Trautwein.
Labor schon vor der Frühbesprechung und vor den ersten Patienten? „Nein“, erläutert Wirtz und lacht, „ich habe im Februar 2015 in der Klinik begonnen und befinde mich seit Anfang März 2016 in meiner Laborrotation.“ Laborrotation – mancherorts auch „forschungsfrei“ genannt – bedeutet, dass sie den Großteil der Arbeitszeit als Teil einer Arbeitsgruppe im Labor verbringt. Um den Kontakt zu den Patienten nicht zu verlieren, betreut Wirtz jeweils einen Tag in der Woche Patienten in der allgemeinen gastroenterologischen Sprechstunde.
„Bereits so früh in der Weiterbildung in die Forschung eingebunden zu werden, das ist eine Besonderheit unserer Klinik – und ein ganz großer Vorteil“, erläutert Dr. Daniela Kroy. Sie hat ihre Weiterbildung in der Klinik abgeschlossen, ist Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie und steht den jüngeren Ärzten häufig als Ansprechpartnerin und fachliche Mentorin zur Seite.
Patientenkontakt in der Sprechstunde
Heute ist Freitag und damit gastroenterologische Sprechstunde: Wirtz ist in ihrem Behandlungszimmer im dritten Stock des weitverzweigten Aachener Uniklinikums. Vor ihr sitzt eine Patientin, knapp 70 Jahre alt. „Man ist zufrieden“, sagt sie, „nur in der Hand ist neuerdings so wenig Kraft.“ Konservendosen habe sie daher mit dem Hammer geöffnet. Wirtz nickt und notiert etwas. Sie kennt die Patientin gut, die alle drei Monate zur Kontrolle kommt. „Wir müssen auch dieses Mal wieder Labor abnehmen“, erläutert sie. „Ihre letzten Leberwerte waren aber in Ordnung.“ Wirtz mustert zur Kontrolle noch einmal die Liste der Werte auf dem Bildschirm rechts neben sich und nickt.
„Was nehmen Sie aktuell an Medikamenten ein?“ ist ihre nächste Frage. Die Patientin hat eine Liste mitgebracht. Gemeinsam geht Wirtz sie mit ihr durch, versichert sich, dass die Patientin ihre Medikation einhält und weiß, worum es sich bei den jeweiligen Präparaten handelt.
Der nächste wichtige Punkt: „Ihre letzte Darmspiegelung war 2013. Damals haben die Kollegen sechs Schleimhautpolypen entfernt, bei denen frühe Vorstufen von Darmkrebs nachgewiesen wurden“, erläutert Wirtz. In einem solchen Fall lautet die leitliniengerechte Empfehlung, die Darmspiegelung nach drei Jahren zu wiederholen.
Patienten zuhören und beraten
Die Patientin weiß um die Notwendigkeit einer erneuten Darmspiegelung, kann sich aber noch nicht dazu durchringen, die Untersuchung in den nächsten Wochen wieder vornehmen zu lassen. Das Hauptproblem beim vergangenen Mal war aber nicht die Spiegelung selbst, sondern die vier Liter des Abführmittels, die sie im Vorfeld trinken musste, die nicht schmeckten und Übelkeit ausgelöst hätten. Gemeinsam überlegen Wirtz und sie, wie sie die Vorbereitung der Untersuchung in diesem Jahr weniger belastend gestalten können. Denn die Darmkrebsvorsorge ist eine wichtige Investition in die gesundheitliche Zukunft. Ein anderes Abführmittel kann als Alternative verwendet werden. Die Patientin stimmt zu, einen Termin in einigen Wochen zu vereinbaren. „Aus menschlichen, aber auch aus rechtlichen Gründen kläre ich sie noch einmal zu den Risiken dieser Untersuchung auf“, erläutert Wirtz und geht die bekannten möglichen Komplikationen mit ihr durch – Schließmuskelverletzungen, Blutungen, Infektionen und anderes.



„Diese Patientin kommt schon seit rund zehn Jahren in unsere Sprechstunde“, erläutert Wirtz nach dem Patientengespräch. Sie leidet an einer niedrig-replikativen chronischen Hepatitis B mit unbekanntem Infektionshergang, und gleichzeitig an einer Autoimmunhepatitis, welche per Biopsie gesichert wurde und zu deren extrahepatischer Manifestationen auch Gelenkbeschwerden gehören können. „Generell müssen bei Patienten mit einer Leberzirrhose letztlich unabhängig von deren Genese die Leberwerte engmaschig kontrolliert werden. Dies geschieht in unserer Poliklinik“, so Wirtz. Außerdem erhält die Patientin alle ein bis zwei Jahre eine Magenspiegelung. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf möglichen Varizen in der Speiseröhre, die sich bei zirrhotischem Umbau der Leber bilden können und mit einem Blutungsrisiko einhergehen.
Wirtz sieht an ihren Tagen in der Ambulanz rund zehn bis 15 Patienten. Sie kann sich für jeden 15–30 Minuten Zeit nehmen, etwas mehr noch, als wenn die Patienten zum ersten Mal kommen. Zusammen mit einem Oberarzt geht sie die Patienten danach noch einmal durch und bespricht das weitere Procedere.
Vielfältige Möglichkeiten in der Gastroenterologie
„Die Gastroenterologie ist ein sehr breites Fach“, erläutert Wirtz. Sie selbst interessiert sich besonders für die gastrointestinale Onkologie. Diese nimmt im Fach großen Raum ein. „Aber auch die Intensivmedizin ist bei uns sehr präsent und bietet Einblick in spannende Krankheitsbilder“, erläutert die Ärztin in Weiterbildung, „Denken Sie nur an die möglichen gastrointestinalen Blutungen zum Beispiel bei Vorliegen einer Leberzirrhose“.
Die Weiterbildung in Aachen kommt der Breite des Fachgebietes entgegen: Wirtz wird zunächst allgemeine Internistin werden und kann die zweijährige Zusatzweiterbildung zur Gastroenterologie dann aufsatteln. Sie ist damit für Klinik und Praxis sehr breit aufgestellt. Alternativ sieht die Weiterbildungsordnung die Möglichkeit vor, innerhalb von sechs Jahren Gastroenterologe zu werden – mit Abstrichen an der allgemeinen internistischen Ausbildung (siehe Kasten). Durch das ambitionierte Aachener Vorgehen kann die Ausbildung in der Endoskopie auch in der zweijährigen gastroenterologischen Zusatzweiterbildung erfolgen.
Wirtz hat nach ihrem Examen direkt an der Uniklinik Aachen begonnen, nach einem Jahr der Weiterbildung ist sie bereits in der Laborrotation. Wie waren die ersten Wochen und Monate in der Klinik und fühlt sie sich ausreichend vorbereitet auf die Patientengespräche in der Ambulanz? Die ersten drei Monate hat sie auf einer gastroenterologischen Normalstation verbracht, danach weitere drei Monate auf einer Station, auf der unter anderem auch Lebertransplantierte Patienten aufgenommen werden. „Bereits am ersten Tag erhalten die neuen Kollegen bei uns eine Art Mentor, der sie durch die Klinik führt und die wichtigen Abläufe erläutert“, erklärt Kroy. In den ersten Wochen betreuen neue Ärzte die Station zusammen mit drei erfahrenen Kollegen. Sie übernehmen zunächst nur ein bis drei Patienten. Das steigert sich in den darauf folgenden Monaten, bis sie rund acht bis zwölf Patienten dauerhaft versorgen. „Wie schnell das geht, ist sehr individuell“, erläutert Kroy. „Die gemischte Besetzung aus Berufsanfängern und erfahrenen Ärztinnen und Ärzten auf Station war natürlich gerade zu Beginn besonders wichtig“, ergänzt Wirtz. Als sie während ihrer ersten Wochen einen reanimationspflichtigen Patienten vorfand, reichte ein Ruf in den Gang und erfahrene Kollegen waren sofort zur Stelle.
Geriatrische multimorbide Patienten
Mittlerweile ist der nächste Patient im Zimmer, er kommt zum ersten Mal in die Sprechstunde. Wirtz hat vorher die Unterlagen durchgesehen und weiß: Er leidet an einer sekundär sklerosierenden Cholangitis. In verschiedenen sogenannten ERCPs sind seine Gallengänge gespült und Stents eingesetzt worden, um einen ausreichenden Galleabfluss zu ermöglichen. Denn: Die Erkrankung geht mit einer diffusen Schädigung der Gallengänge einher, deren Ursache oft nicht eindeutig geklärt werden kann und hat eine ungünstige Prognose. Auch jetzt ist der Mitte Siebzigjährige ikterisch. Besonders seine Skleren sind auffallend gelblich verfärbt. Wirtz legt fest, welche Laboruntersuchungen erfolgen sollen, außerdem ist ein Ultraschall dringend notwendig. Wie viele geriatrische Patienten ist auch dieser multimorbide: Er leidet unter einer fortgeschrittenen COPD und zeitweise unter Anämie. Kein Fieber, kein Nachtschweiß. Was ihn am meisten quält: „Der Juckreiz am Rücken, ich kann nachts nicht schlafen und muss aufstehen, um mich zu kratzen“, berichtet er und hat auch eine Erklärung für den Juckreiz: „Seit ich diese Pillen nehme“, sagt er und deutet auf eine der Medikamentenschachteln, die er auf dem Tisch vor der Ärztin stapelt. Wirtz nickt und überlegt: Juckreiz gehört nicht zum bekannten Nebenwirkungsspektrum des Präparats, viel wahrscheinlicher ist, dass in der Haut abgelagerte Gallensalze das Leiden verursachen. Gemeinsam sprechen sie die Medikamentenliste durch. Wirtz setzt ein überflüssiges, zudem nierenschädigendes Präparat ab und stellt ein Rezept für die übrigen aus. Die Rote Liste am Bildschirm daneben ist unverzichtbar.
Danach untersucht sie den Patienten: die juckenden Hautstellen, aber auch Lunge, Herz und das Abdomen mit dem Stethoskop. Eine Sonographie ist wichtig, und natürlich das Labor. Per Telefon vereinbart sie einen raschen Ultraschalltermin, noch in den nächsten Stunden. Die Blutabnahme kann gleich nebenan stattfinden. Wirtz begleitet ihren Patienten, der schlecht zu Fuß ist, in den Nebenraum, wo eine Schwester ihn übernimmt.
Zurück im Behandlungszimmer vereinbart sie, über den Patienten möglichst gleich mit dem Oberarzt zu sprechen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er stationär aufgenommen werden muss. „An der Uniklinik finde ich ganz großartig, dass sich immer ein Spezialist findet, der sich mit einer bestimmten Erkrankung wirklich detailliert auskennt und den man dazu rasch fragen und um seine Einschätzung bitten kann“, erläutert Wirtz.
Das ist auch für Kroy nach mehreren Jahren an der Uniklinik noch immer etwas Besonderes: „Wir haben hier die tolle Möglichkeit, uns breit weiterbilden zu lassen und trotzdem können wir immer wieder auf Spezialkenntnisse zurückgreifen“, schwärmt sie. Möglich macht es die enge Verzahnung von Klinik und Forschung.
Besonders wichtig ist aber, im Team dort zu sein, wo man sich selber sieht und wohlfühlt. „Denn richtig gut ist man nur, wenn man für die Sache brennt, an der man arbeitet“, sagt Kroy.
Wie kommt man zur Gastroenterologie?
Die Weiterbildung zum Facharzt/Fachärztin für Innere Medizin dauert 60 Monate, davon 36 Monate in der stationären Basisweiterbildung im Gebiet Innere Medizin sowie weitere 24 Monate stationäre Weiterbildung in Innerer Medizin oder in mindestens zwei sogenannten Facharztkompetenzen, zum Beispiel Gastroenterologie und Kardiologie. Nötig sind sechs Monate internistische Intensivmedizin, die auch während der Basisweiterbildung abgeleistet werden können. Danach ist es möglich, eine zweijährige Zusatzweiterbildung aufzusatteln.
Die Weiterbildung zum Facharzt/Fachärztin für Innere Medizin und Gastroenterologie dauert 72 Monate, davon 36 Monate in der stationären Basisweiterbildung im Gebiet Innere Medizin und 36 Monate Weiterbildung in Gastroenterologie, davon sechs Monate internistische Intensivmedizin, die auch während der Basisweiterbildung abgeleistet werden können. Bis zu 18 Monate können auch im ambulanten Bereich abgeleistet werden.
Das sind die Regelungen der Muster-Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer. Die detaillierte Weiterbildung vor Ort bestimmt die jeweils zuständige Landesärztekammer. Bitte dort informieren!
Quelle: Dieser Beitrag ist in Heft 1/2016 von Medizin Studieren, dem Magazin des Deutschen Ärzteblattes für Studierende der Medizin, S. 20, erschienen.