Mit einer Anekdote aus seinem Privatleben stimmte Michel das Publikum auf seinen Vortrag ein. Sein Sohn habe mal eine Kopfplatzwunde gehabt, erzählte er. Als Michel die Fäden an einem Sonntag in der Klinik selbst ziehen wollte, sei dem Jungen unwohl gewesen: "Können wir nicht zu einem richtigen Arzt gehen?", habe der Junior skeptisch gefragt.
Dabei machte Michel eines von Anfang an klar: Psychiater sind ist richtige Mediziner – nicht nur in der Ausbildung, sondern auch in Bezug auf die Tätigkeiten: Psychiater untersuchen ihre Patienten körperlich, nehmen ihnen Blut ab, behandeln somatische Begleiterscheinung, führen somatische Therapien durch, verordnen Medikamente und können selbstverständlich auch eine Platzwunde versorgen.
Wichtig: Beziehungen zu den Patienten aufbauen
Aber in der Psychiatrie gehe es um mehr: Anders als andere Fachärzte können sich Psychiater Zeit für ihre Patienten nehmen, um intensive Gespräche zu führen und eine Beziehung aufzubauen. Das helfe bei der Genesung. Wichtig sei es, den Patienten mit all seinen Gefühlen, Gedanken und sozialen Bezügen ganzheitlich zu sehen und dabei die innere Logik dieses Menschen zu erkunden, erklärte Michel. Der Arzt müsse verstehen, warum ein Mensch auf eine bestimmte Art fühlt und handelt – daraus ergebe sich dann die Diagnose und Therapie.
Insgesamt stellte Michel sechs psychiatrische Disziplinen vor:
- Allgemeinpsychiatrie (z.B. Kriseninterventionen, Patienten, die unter Schizophrenie oder Depressionen leiden)
- Gerontopsychiatrie (ältere Patienten, viele davon multimorbide)
- Suchtmedizin (z.B. körperliche und psychische Begleitung beim Entzug)
- Forensische Psychiatrie (Behandlung suchtkranker und psychisch kranker Straftäter – die Patienten müssen so stabilisiert werden, dass sie keine weiteren Delikte begehen)
- Kinder- und Jugendpsychiatrie (Behandlung von Patienten bis 18 Jahre)
- Psychosomatische Medizin (Behandlung von körperlichen Symptomen, die eine psychische Ursache haben)
Als Psychiater behandle man Menschen in Ausnahmesituationen: Das könne ein akuter Erregungszustand sein, eine suizidale Krise, ein schwer depressiver oder manischer Patient, aber auch ein schizophrener Mensch, der sich verfolgt fühle, erklärte Michel.
"Manchmal gibt es Wunder"
"Als Psychiater ist einem nichts Menschliches fremd, das erweitert auch die eigene Lebensperspektive", verriet der Facharzt, "normalerweise begegnen einem solche Schicksale ja nicht". Um ein guter Psychiater zu werden, müsse man Menschen grundsätzlich lieben – auch wenn es manchmal schwierig sei, sich mit menschlichen Abgründen auseinanderzusetzen. Dafür bekomme man auch viel zurück: Es sei ein tolles Gefühl, die Dankbarkeit eines Patienten zu erleben, der eine schwere Depression überwunden habe, erklärte Michel. Manchmal gebe es Wunder – beispielsweise wenn jemand beim zehnten Entzug endlich dauerhaft den Weg aus der Sucht finde.
Daneben habe die Psychiatrie auch einige ganz praktische Vorteile: Die Arbeitszeiten seien besser einteilbar als in anderen Fächern und gut überschaubar – deshalb lasse sich Beruf und Privatleben gut vereinbaren. Auch Teilzeit sei gut umsetzbar. "In der Klinik arbeiten vor allem multiprofessionelle Teams eng zusammen – die Hierarchien sind hier eher flach", verriet Michel. Vor allem die Zusammenarbeit mit Psychologen, Krankenpflege, Sozialdienst, Ärzten sowie Musik-, Sport-, Kunst- und anderen Therapeuten nehme er persönlich als sehr bereichernd wahr.
Operation Karriere Frankfurt, 02.02.2019, "Psychiatrie und Psychosomatik – Facharzt für Leib und Seele", Dr. Matthias C. Michel, Chefarzt Klinik für Forensische Psychiatrie, Klinikum am Weissenhof / ZfP-Gruppe Baden-Württemberg