Herr Dr. Zuhorn, als Student hatten Sie noch gewisse Vorbehalte gegen die Neurologie – inzwischen sind Sie Oberarzt in diesem Fachgebiet. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Dr. Frédéric Zuhorn: Mir hat die neurologische Ausbildung im Studium zwar grundsätzlich Spaß gemacht, aber ich hatte trotzdem kein Interesse an dem Fach und wollte mich lieber auf etwas Chirurgisches spezialisieren. So richtig habe ich das Fach erst im PJ kennengelernt. Das rate ich auch jedem: Solche Fächer lernt man erst in der Klinik am Patienten richtig kennen. Mir hat die detektivische Herangehensweise gut gefallen – wie enorm wichtig die Anamnese und die klinische Untersuchung sind. Es gibt viel apparative Diagnostik und viel interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit in einem großen Team. Man muss viel mit dem Patienten reden und ihn immer wieder untersuchen – und immer wieder findet man dann wieder neue Symptome. Das fand ich total spannend.
Neurologen sind ja nicht nur in der Diagnose, sondern auch immer mehr therapeutisch tätig. Wie hat sich das Fach da in den letzten Jahren entwickelt?
Dr. Frédéric Zuhorn: Da hat sich ganz viel getan – Gott sei Dank. Früher mussten manche Ärzte einem Patienten mit der Diagnose Multiple Sklerose sagen, dass er in zehn, zwanzig Jahren im Rollstuhl sitzen wird. Heutzutage ist das zum Glück nicht mehr der Fall. Gerade in den letzten Jahren gab es da eine enorme Entwicklung: Es sind neue Medikamente auf den Markt gekommen, die nicht nur als Spritze verabreicht werden können, sondern auch als Tablette. Auch bei der Schlaganfallmedizin haben wir enorme Fortschritte gemacht. Da haben wir jetzt die systemische Lyse-Therapie, die immer häufiger angewandt werden kann, weil immer mehr Menschen bei Schlaganfallsyndromen schneller in der Klinik sind. Und in großen Schlaganfall-Zentren wie zum Beispiel bei uns am Evangelischen Klinikum Bethel in Bielefeld können wir den Patienten auch noch mit Thrombektomien helfen. Dabei kann man gezielt das große Gefäß im Gehirn mit Kathetertechnik wieder freiputzen. Das alles sind therapeutische Neuerungen in der Neurologie, von denen die Patienten enorm profitieren.
Unter anderem kooperieren Neurologen eng mit den Kollegen aus der Psychiatrie. Warum ist das so und warum ist das auch richtig?
Dr. Frédéric Zuhorn: Beide Fachrichtungen sind historisch aus der „Nervenheilkunde“ hervorgegangen – seit 1950 sind Neurologie und Psychiatrie aber komplett separate Fächer. Trotzdem ist in der Facharzt-Weiterbildung Neurologie immer noch ein Jahr in der Psychiatrie vorgeschrieben. Ursprünglich wollte ich diese Zeit in einer kleinen Klinik oder im Reha-Bereich absolvieren, weil ich selbst mit diesem Bereich gefremdelt habe. Rückblickend bin ich aber froh, dass ich doch in einer großen Akut-Psychiatrie war. Dort habe ich sehr viele psychiatrische Krankheitsbilder kennengelernt. Das ist generell für sämtliche medizinische Fächer wichtig, weil viele Komorbiditäten in der Psychiatrie angesiedelt sind. Gerade in der Neurologie haben wir es sehr viel mit psychiatrischen Begleiterkrankungen zu tun. Wir haben einfach viele Patienten, die am Gehirn erkrankt sind – egal, ob es entzündliche Erkrankungen oder vaskuläre Erkrankungen wie Schlaganfälle sind. Viele Patienten entwickeln in diesem Zusammenhang psychotische oder depressive Symptome. Diese Symptome muss man als Neurologe erkennen und anbehandeln können.
Sie interessieren sich besonders für das Thema Schlaganfall. Was gibt es da für neue Entwicklungen?
Dr. Frédéric Zuhorn: Aktuell gibt es viele Studien, die sich mit dem Thema Post-Stroke beschäftigen – also, wie funktioniert die Regeneration des Gehirns nach einem Schlaganfall? Ich finde besonders das klinische Bild des Schlaganfalls spannend – diesen gravierenden negativen Effekt, den ein Schlaganfall für den Patienten bedeutet. Und zum Glück hängen damit immer mehr die guten medizinischen Therapien zusammen, von denen die Patienten profitieren. Diese fachlichen Kompetenzen sind heutzutage oft in riesigen Stroke-Units gebündelt, wo ein riesiges Team aus speziell ausgebildeten Krankenpflegern und Krankenschwestern, Ergotherapeuten, Logopäden und Physiotherapeuten mit den Ärzten zusammenarbeitet. Gerade in den ersten Tagen nach dem Schlaganfall kommt das den Patienten sehr zugute.
Das Thema Interdisziplinarität und Interprofessionalität haben Sie schon angesprochen. Mit welchen anderen Disziplinen arbeiten Neurologen sonst noch eng zusammen?
Dr. Frédéric Zuhorn: Neben der Psychiatrie arbeiten wir auch mit den Neuroradiologen sehr intensiv zusammen: Diese Kollegen machen unsere Schnittbildgebung und die Thrombektomien. Natürlich sind auch die Neurochirurgen wichtig: Mit denen suchen wir nach der besten Therapie für die Patienten – beispielsweise bei der Tumorchirurgie und Tumorchemotherapie. Und auch mit den Kollegen der Inneren Medizin arbeiten wir eng zusammen – letztendlich gibt es kein Fach, das keine Schnittmenge mit der Neurologie hat. Das geht bis in die Rheumatologie, weil viele rheumatologische Grunderkrankungen neurologische Komorbiditäten mit sich bringen. Unser Fachgebiet ist wirklich sehr interdisziplinär und interprofessionell.
Was muss man mitbringen, um ein guter Neurologe zu werden?
Dr. Frédéric Zuhorn: Gerade in der Neurologie ist das Thema Teamwork ganz wichtig – das steht an erster Stelle. Wir sind ein Team zusammen mit den Chef-, Ober- und Assistenzärzten. Außerdem ist die Kommunikation mit den Patienten ein großes Thema: Die Patienten haben viel zu erzählen und das ist auch gut und wichtig. Sie geben einem viele Informationen für die Anamnese. Als Neurologe lernt man mit der Zeit, aus all diesen Informationen das Wichtige herauszuziehen. Dafür muss man auch zuhören und die richtigen Fragen stellen können. Neurologie ist eben oft Detektivarbeit.
Quelle: Operation Karriere Köln, 9.11.2019, Vortrag "Mehr als ein Arzt für Nerven – Facharzt für Neurologie", Dr. med Frédéric Zuhorn, Oberarzt und Facharzt für Neurologie, Evangelisches Klinikum Bethel, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Münster