Clinician Scientist – Wieso, Weshalb, Warum?

Nach langen zwölf Semestern Medizinstudium mit zahlreichen Praktika, Kursen und Vorlesungen starten die Nachwuchs-Ärztinnen und -Ärzte mit ihrer Approbation in der Tasche in das turbulente Berufsleben. Sobald die gewünschte Stelle zur Facharztweiterbildung gefunden ist, beginnt der häufig stressige und fordernde Klinikalltag.

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Der Anspruch an die neuen Ärztinnen und Ärzte, sich zusätzlich im wissenschaftlichen Bereich einzubringen ist an großen Universitätskliniken oft Voraussetzung und verpflichtend. Doch für die meisten Absolventinnen und Absolventen gleicht die Koordination der ärztlichen praktischen Weiterbildung, der wissenschaftlichen Forschung und zusätzlich des eigenen Privatlebens einem Weg durch den Dschungel, bei dem die Orientierung schwerfällt – nicht zuletzt wegen des Anspruchs, allen Teilen die gleiche Aufmerksamkeit und Sorgfalt zu widmen. Denn oft fehlt schlichtweg die Zeit, aufkommenden klinischen Fragestellungen weiter nachzugehen und ehrgeizige Forschungsprojekte zu realisieren. Häufig werden derartige Vorhaben frühzeitig abgebrochen, da sie meist in die wenig vorhandene Freizeit verlegt werden müssen und damit die vielfach geforderte Work-Life-Balance nicht mehr ausreichend gegeben ist. Neben den zeitlichen Aspekten sind allerdings auch die Motivation und zielführende Betreuung (Mentoring) entscheidend. Gerade zu Beginn ist es wichtig, dass sich um die jungen Forschenden ausreichend gekümmert wird, Perspektiven aufgezeigt werden und weiteres Know-how vermittelt wird. 

Hochwertige und moderne Forschung ist nicht nur äußerst zeitintensiv, die neuen wissenschaftlichen Methoden werden durch die nötige Interdisziplinarisierung auch komplexer und damit anspruchsvoller. Doch wie soll das rasant wachsende Wissen aus der medizinischen Grundlagenforschung inklusive molekularer Ansätze und moderner Datenverarbeitung in die Praxis der Krankenversorgung integriert werden? Aus diesem Grund sind wissenschaftlich aktive Medizinerinnen und Mediziner als Bindeglied zwischen Forschung und klinischer Praxis essentiell. Denn gerade die Verknüpfung von innovativer Forschung und klinischer Erfahrung am Krankenbett trägt dazu bei, Krankheiten besser zu verstehen und neue Heilungswege zu finden. 

In einer Stellungnahme zum «Masterplan Medizinstudium 2020» forderte die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) mehr Wissenschaftskompetenz bereits als Ausbildungsziel für alle angehenden Ärztinnen und Ärzte. Doch durch die zunehmende Ökonomisierung der Medizin und dem weiter voranschreitenden Fachkräftemangel bleibt immer weniger Raum für Kreativität und Innovation neben der durchgetakteten Patientenversorgung. 

Insgesamt gibt es in Deutschland 35 Unikliniken, die pro Jahr 1,88 Mio. Patienten betreuen. Was bedeutet das für die Facharztweiterbildung? Im Beitrag haben wir die Vor- und Nachteile zusammengefasst.

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Um einem drohenden Mangel an qualifizierten, wissenschaftlich tätigen Ärztinnen und Ärzten entgegenzuwirken, positionierte sich die Senatskommission für Grundsatzfragen in der Klinischen Forschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) 2015 mit der Stellungnahme: Etablierung eines integrierten Forschungs- und Weiterbildungs-Programms für «Clinician Scientists» parallel zur Facharztweiterbildung für die Einführung und Förderung von strukturierten Clinician Scientist-Programmen. Durch die Vergabe entsprechender Stipendien und Fördergelder sollen so ideale Voraussetzungen für wissenschaftliches Arbeiten und innovative Forschungsprojekte entstehen und damit durch «geschützte Forschungszeiten» die Vereinbarkeit aus klinischer Tätigkeit und wissenschaftlicher translationaler Forschung verbessert werden.

Strukturiert geförderte Clinician Scientist-Programme führen nach Meinung der Senatskommission der DFG zu klareren Perspektiven, verlässlicheren Karrierewegen und größerer Unabhängigkeit von den sich wandelnden Arbeitsbedingungen. Gerade die Struktur spielt eine entscheidende Rolle bei der Realisierung und dem langfristigen Erfolg dieser Projekte. Bezüglich der Einteilung von Forschungszeit und forschungsfreier Zeit besteht häufig hohe Flexibilität und sie ist hauptsächlich von den Strukturen vor Ort abhängig. Beispielsweise wäre für einen definierten Zeitrahmen eine 50:50-Aufteilung von geschützter Zeit für Forschung und klinisch-fachärztlicher Weiterbildung möglich. Eine Alternative ist die Tandem-Regelung für zwei interessierte Clinician Scientists, wodurch eine langfristigere Kontinuität von klinischer Expertise als auch Forschungszeit sichergestellt werden kann. 

Neben dem gefundenen Zeitmodell hat das nötige Mentoring einen wichtigen Stellenwert. Hier wird empfohlen, neben dem klinischen Mentor noch einen weiteren einzusetzen, zum Beispiel einen experimentellen Mentor, aber auch eine außeruniversitäre Betreuung aus der industriellen Forschung ist denkbar.

In Form eines begleitenden Curriculums werden Pflicht- und auch zahlreiche individuelle Wahlmodule in den bereits häufig präexistenten Graduiertenkollegs und anderen interdisziplinären Verbundförderinstrumenten angeboten. Dies sind beispielsweise Journal Clubs, Kongressbesuche, Summer Schools oder Retreats sowie die Teilnahme an Kursen, Seminaren und Symposien mit grundlagenwissenschaftlichen und interdisziplinären Inhalten. Damit sollen Schlüsselqualifikationen wie Methodenkompetenz, Didaktik und Projektmanagement gesichert und weitere Soft-Skills erlernt werden. Die freiwilligen Angebote sollten allerdings einen kleineren Anteil einnehmen, damit noch ausreichend Zeit für die eigentlichen Themen bleibt. 

Kompetitive Clinician Scientist-Programme sollen weiterhin zu einer verbesserten Chancengleichheit beitragen, da die Kliniken zusätzliche Ressourcen für gezielte wissenschaftliche Nachwuchsförderung bereitgestellt bekommen. Die Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS) leistet beispielsweise seit 2010 Pionierarbeit bei der Unterstützung und Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses durch spezielle Curricula und strukturierte Laufbahnkonzepte. Mittlerweile gibt es nahezu an allen Standorten der großen staatlichen medizinischen Fakultäten und Universitätsklinika entsprechende strukturierte Programme, finanziert durch Bund, Länder oder Institutionen.

Damit soll außerdem perspektivisch ein klinisch-wissenschaftlicher Karriereweg aufgezeigt und unterstützt werden. Dies wird beispielsweise in Form von Advanced/ Senior Clinician Scientist-Programmen realisiert, welche sich nach der Weiterbildungszeit mit abgeschlossenem Facharzt anschließen. Weiterhin sollen Tenure-Track-Maßnahmen etabliert werden, um die Forschenden langfristig zu unterstützen und die Vereinbarkeit von Forschung und klinischer Tätigkeit zu ermöglichen. Tenure Track ist ein Begriff aus dem englischen Sprachraum und soll im Rahmen der akademischen und wissenschaftlichen Laufbahn zu einer lebenslangen Festanstellung an Hochschulen führen.

Als Clinician Scientist bekommt man also die Möglichkeit, Forschung und klinische Weiterbildung sinnvoll und strukturiert zu verbinden, um so über den Tellerrand des reinen praxisorientierten Arbeitens am Krankenbett hinauszublicken.

Clinician Scientist – Wer ist das?

Clinician Scientists (synonym: Clinical Scientist, Physician Scientist) sind Ärztinnen und Ärzte, die bereits Erfahrung in der täglichen Patientenversorgung innerhalb ihrer Facharztweiterbildung sammeln konnten, aber gleichzeitig interessiert sind, auf wettbewerbsfähigem Niveau zu forschen. Sie stellen damit ein wichtiges Bindeglied zwischen Grundlagenwissenschaften, klinischer Forschung und Patientenversorgung dar, um gezielt wissenschaftliche Erkenntnisse in die klinische Anwendung zu bringen. 

Was ist ein Clinician Scientist-Programm?

Ein Clinician Scientist Programm ist für die Zeit während der Facharztweiterbildung entwickelt worden und im Sinne eines modularen Systems aufgebaut. Damit soll ein geschützter Freiraum für die Forschung gesichert und eine klinische patientenorientierte sowie wissenschaftliche Qualifizierung erreicht werden. Weiterhin sollen Karrieremöglichkeiten und -wege aufgezeigt und ausgebaut werden. 

Ziele des Clinician Scientist-Programms [1]:

  • Schaffung bzw. Ausbau sichtbarer und verlässlicher Karrierewege in der klinischen Forschung
  • Vertraglich festgelegte geschützte Zeiten für Forschung (z.B. 50:50)
  • Integration von Forschung und forschungsbezogenen Lehrinhalten in die Facharztweiterbildung
  • Erhalt wissenschaftlicher Kompetenz in den verschiedenen klinischen (Sub-) Spezialisierungen
  • Gewährleistung von Chancengleichheit bei der Planung klinisch-wissenschaftlicher Karrieren
  • Verbindliches Mentoring

Ist eine Anerkennung für die Weiterbildungszeit möglich?

Bisher werden Forschungszeiten in der Facharztweiterbildung leider nicht einheitlich anerkannt. Vereinzelte Landesärztekammern, wie beispielsweise die Ärztekammern Berlin, Nordrhein, Schleswig-Holstein oder Sachsen, sind bei der Anerkennung der Forschungszeiten in strukturierten Programmen während der Weiterbildungsphase bereits sehr aufgeschlossen. Bei anderen Landesärztekammern sind es Einzelfallentscheidungen. Allerdings ist hier aktuell viel Bewegung im Spiel, denn die neuen Weiterbildungsverordnungen mancher Bundesländer beinhalten entsprechende Paragrafen, wodurch eine begrenzte Anerkennung möglich werden soll. Die ursprüngliche Sorge, dass der Anspruch auf eine vollständige Weiterbildung nicht umgesetzt wird, konnte durch die erfolgreichen Abschlüsse der bisherigen Clinician Scientists entkräftet werden. Es empfiehlt sich trotzdem, im Voraus mit der zuständigen Landesärztekammer in Kontakt zu treten und das geplante Programm vorzustellen, um eine mögliche Anerkennung abzuklären.

Welche Voraussetzungen sollte man mitbringen und wie kann man sich bewerben?

Die Voraussetzungen variieren je nach gewünschter Hochschule beziehungsweise medizinischer Fakultät. Meist erfolgt die Aufnahme durch ein individuell kompetitives Bewerbungsverfahren. Entsprechende Informationen zur Bewerbung sind online auf den entsprechenden Homepages verfügbar.

Häufig erforderliche Voraussetzungen:

  • Abgeschlossenes Medizinstudium mit Approbation
  • Beginn einer Facharztweiterbildung
  • Begeisterung und Motivation für die wissenschaftliche Forschung (Motivationsschreiben)
  • Erfolgreich abgeschlossene Promotion
  • Nachweise über wissenschaftliches Interesse (Publikationen, Vorträge, Lehrveranstaltungen, etc.)
  • Idee für ein Forschungsvorhaben (z.B. Projektskizze, Arbeitsprogramm, Meilensteine)

Literatur:

Etablierung eines integrierten Forschungs- und Weiterbildungs-Programms für «Clinician Scientists» parallel zur Facharztweiterbildung, DFG April 2015, www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/geschaeftsstelle/publikationen/stellungnahmen_papiere/2015/empfehlungen_clinician_scientists_0415.pdf

Ein Beitrag von Kompass Ophthalmol 2022;8:124–128 

Den vollständigen Campus-Beitrag findest Du hier.

Dr. med. A. J. Bartsch

Assistenzarzt für Augenheilkunde, Clinician Scientist des Graduiertenkolleg 2504:

Neue antivirale Strategien: Von der Chemotherapie bis zur Immunintervention (Erlangen, Cambridge), Augenklinik, Universitätsklinikum Erlangen,

Schwabachanlage 6, 91054 Erlangen

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