Der Sohn einer Kollegin hat eine eosinophile Ösophagitis, eine Erkrankung, bei welcher bestimmte Immunzellen die Speiseröhre schädigen, die aber mit moderner Medizin gut therapierbar ist. Sie erfordert jedoch nicht nur regelmäßige Medikamenteneinnahme, sondern auch häufige Arztbesuche und gelegentliche Magenspiegelungen.
Eine Magenspiegelung, beziehungsweise fachlich als Ösophagoduodenoskopie (ÖGD) bekannt, ist ein nur wenige Minuten dauernder Routineeingriff, bei dem ein langer und dünner Schlauch mit einer Videokamera an seinem Ende entweder über die Nasen- oder die Mundhöhle via Speiseröhre in den Magen und gegebenenfalls etwas weiter in den Zwölffingerdarm ein- und vorgeschoben wird. Der untersuchende Arzt braucht im Regelfall mindestens eine, manchmal zwei Assistenten, um dem Patienten Beruhigungsmittel zu verabreichen und damit ihm Werkzeuge während der Untersuchung gereicht werden können.
Meine Kollegin und ihr Sohn kamen also für diesen Routineeingriff in eine US-Praxis, denn er wurde ambulant durchgeführt. Zunächst wurden sie am Empfang von der Empfangsdame begrüßt und gebeten, sich hinzusetzen. Dann kam eine zweite Person, um ihnen einige auszufüllende Dokumente zu reichen und ihnen Hinweise für das richtige Ausfüllen zu geben. Als dritte Person trafen sie, noch im Wartebereich sitzend, auf eine in der Verwaltung Angestellte, die mit ihnen ihre Krankenversicherung und zu erwartende Kosten besprach, gefolgt dann von einer Phlebologin, jener Person, die dem jungen Patienten Blut vor der Untersuchung entnahm.
Nun wurden sie von einer fünften Person, nachdem sie erneut einige Zeit gewartet hatten, aufgerufen und das Gewicht und Größe nachgemessen, um die richtige Medikamentendosierung zu gewährleisten. Die Krankenschwester, Person Nummer sechs in dieser Aufzählung, bestimmte dann den Blutdruck, Herzschlag, Sauerstoffsättigung und Temperatur, ehe dann der Anästhesist mit dem Patienten und seiner Mutter die zu verabreichende Anästhesie besprach, also Person Nummer sieben.
Nun kam der Arzthelfer des Gastroenterologen hinzu und füllte die Aufklärung zusammen mit Mutter und Patient aus, und hiernach warteten sie auf die neunte Person, dieses Mal eine andere Pflegeassistenz, die sie in das eigentliche Untersuchungszimmer begleitete, das Vorhandensein des unterschriebenen Aufklärungsbogens, des Anästhesiedokumentes, der Blutwerte und Vitalparameter überprüft.
Danach trat eine andere Krankenschwester, also Person Nummer zehn, hinzu, erklärte, was nun bevorstand, dokumentierte erneut Blutdruck, Puls, Sättigung und Temperatur und wartete dann auf Person elf, den eigentlichen Untersucher und Gastroenterologen, der dann in den Raum trat. Person Nummer zwölf brachte das Untersuchungsgerät. Während der Gastroenterologe kurz hinaustrat, kam der Anästhesist hinein, der Zugang wurde gelegt, das Sedierungsmedikament gegeben und die Untersuchung begann, wobei zwei Krankenschwestern, ein Anästhesist, ein Gastroenterologe, eine Mutter und der zu untersuchende Patient im Zimmer waren.
Am Ende der Untersuchung gab es einen guten Befund, denn alles sah nach gebesserter Speiseröhre aus, die Therapie schien also angeschlagen zu haben. Alle fuhren glücklich nach Hause, während Person 13 und 14 sich um die Geräte, Sterilisierung und das Aufräumen kümmerten und Person Nummer 15 sicherlich schon an der Rechnung arbeitete.
So einfach kann ein Patientenbesuch in den USA sein.
Alle Blog-Beiträge von Dr. Peter Niemann "Vom Arztdasein in Amerika" können hier nachgelesen werden.