Blog: Sinkende Lebenserwartung in den USA

Dr. Peter Niemann schreibt über seine Ausbildung zum Internisten sowie der Zeit danach, aber auch über die Skurrilität eines Arztlebens in den USA. Dieses Mal macht er sich über die sinkende Lebenserwartung in den USA Sorgen.

Arzt in Amerika

"Natürlich ist ein Absinken der Lebenserwartung international betrachtet kein Einzelphänomen." | Pixabay

Vielen amerikanischen Wissenschaftlern geht es wie mir: Uns lässt das Thema einer seit Jahren sinkenden durchschnittlichen Lebenserwartung in den USA keine Ruhe. Die Zahlen des Jahres 2018 stehen noch aus, dennoch wissen schon jetzt viele Experten dass eine Kehrtwende sehr schwierig sein wird, denn eine seit Jahren anhaltende Entwicklung kann man nicht einfach so rückgängig machen.

Doch zunächst sei der Sachverhalt kurz geschildert: Die Vereinigten Staaten von Amerika sind ein hoch entwickeltes Land, sogar eines der reichsten auf der Erde. Wie viele andere Länder des Westens erfuhren sie nach dem Zweiten Weltkrieg ein fast ununterbrochenes ökonomisch-demografisches Wachstum und damit einhergehend eine stete Verbesserung der Gesundheit ihrer Bevölkerung.

Während die durchschnittliche Lebenserwartung noch bei 69,9 Lebensjahren im Jahr 1959 lag, stieg dieser Wert fast ununterbrochen auf 79,1 im Jahr 2014 an. Doch dann trat das ein, was meine Kollegen und mich nun seit Jahren beschäftigt: Die durchschnittliche Lebenserwartung sank in den folgenden Jahren ab, von 78,9 (2015) auf 78,7 Lebensjahre (2016) und nun dem aktuell verfügbaren Wert von 78,6 des Jahres 2017. Ob dieser Trend durchbrochen wird, wissen wir erst wenn die Gesundheitsbehörde CDC 2020 ihre Zahlen für das Jahr 2018 veröffentlicht.

Uniklinik Stanford

Paul Windisch studiert seit 2012 Humanmedizin an der Universität Heidelberg. In Stanford hat er am "Cancer Center" eine Famulatur im Bereich der Strahlentherapie absolviert.

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Natürlich ist ein Absinken der Lebenserwartung international betrachtet kein Einzelphänomen. So gab es beispielsweise im Jahr 2015 mehrere westliche Länder, unter anderem auch Deutschland, die einen Rückgang in der beobachteten Lebensspanne ihrer Bürger erfuhren. Doch im Gegensatz zu den amerikanischen Zahlen sind das – bisher? – noch keine mehrjährige Trends sondern Einzelphänomene.

Wissenschaftler suchen nach Erklärungen, und deshalb gibt es immer wieder detailreiche und damit lesenswerte Analysen zu diesem Thema. So verursachte Ende 2019 eine Publikation hierzu medizinisch und medial hohe Wellen, und ich verweise auf sie für Interessierte: Woolf SH, Schoomaker H. JAMA 2019. Es lohnt sich einige Hauptgedanken herauszugreifen, um besser verstehen zu können wie sich dieser Trend im einzelnen niederschlägt.

5 Gründe, warum die Lebenserwartung in den USA sinkt

Erstens, es sind vor allem die jüngeren und mittelalten (also 25- bis 64-jährige) Männer, die am stärksten davon betroffen sind verfrüht zu versterben. Dieses ist, zweitens, auf eine starke Erhöhung von Drogen- und (großteils legal verschriebenen) Opiattoten zurückzuführen, wie auch einer deutlichen Erhöhung der Selbstmordrate und adipositas-, alkohol- und hypertonusbedingten Krankheiten.

Drittens, auch Frauen sind von diesem Phänomen betroffen, aber in einem geringeren Maße. Viertens, es sind vor allem die sozioökonomisch unteren Schichten, also diejenigen, die nicht studiert haben, die betroffen sind. Es muss hierbei erwähnt werden, dass in den USA der Großteil aller Berufe einschließlich Elektriker, Krankenschwester und KFZ-Mechaniker oft an Universitäten gelehrt werden, man also die amerikanischen Männer der unteren Schichten eher mit solchen im deutschsprachigen Raum vergleichen sollte, die keine oder eine abgebrochene Ausbildung haben.

Bern

In den Sommermonaten die Abende am Strand verbringen und im Frühling und Herbst bei sonnigen 20 Grad auf der Veranda frühstücken – wer hat nicht schon einmal davon geträumt, auszuwandern. Das Gute bei Ärzten und Ärztinnen ist: Sie werden überall gebraucht.

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Viertens, es gibt regionale Unterschiede und hier sind vor allem bestimmte Regionen des Ostens und des östlichen Mittleren Westens von der starken Zunahme gesundheitlicher Probleme betroffen. Zu nennen sind vor allem die Bundesstaaten New Hampshire, Maine und Vermont im Nordosten der USA, wie auch West Virginia, Ohio, Indiana und Kentucky. Wer sich in den USA auskennt, der weiß, dass viele dieser Regionen als abgehängt gelten.

Fünftens, viele dieser Phänomene (Fettleibigkeit, Anstieg der Drogen- und Opiateinnahme, Bluthochdruck und Anstieg der Selbstmordrate) lassen sich in vielen anderen Ländern außerhalb der USA antreffen. Das ist für mich sehr besorgniserregend. Am Ende bleibe ich mit einem sehr unguten Gefühl angesichts dieser Zahlen zurück. Was können wir als Ärzte gegen diesen Trend tun? Wird er sich fortsetzen? Ist auch mit ähnlichen Entwicklungen im deutschsprachigen Raum und hier vor allem Deutschland, welches in vielen Indikatoren hinter Österreich, Luxemburg und der Schweiz steht, zu rechnen?

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